Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
war kein normales Interview. Keine Aneinanderreihung von nostalgischen Erinnerungen, sondern die Biografie eines Mannes, der so viel Dreck gefressen hat, dass andere wohl dran erstickt wären, und der heute trotzdem mit sich im Reinen ist. So etwas hatte ich noch nie bei einem Gesprächspartner erlebt. Ausgerechnet der brutal coole Haudegen der achtziger Jahre, der vielleicht größte »Bad Boy« der Bundesliga, hatte für uns die Hosen runtergelassen. Ohne sich dabei in Klagen über die Ungerechtigkeit des Lebens zu ergehen oder sich auf peinliche Art und Weise selbst zu geißeln. Auf eine beeindruckend eindringliche Art hatte es Uli Borowka geschafft, uns seine Geschichte nahezubringen.
Die Resonanz auf das Interview war überwältigend. Nicht nur für uns, sondern auch für Uli und seine Frau Claudia. Wildfremde Menschen bedankten sich für die offenen Worte. Viele von ihnen hatten selbst mit der Sucht zu kämpfen. Alkoholismus, das wurde durch dieses Interview mal wieder deutlich, ist das große gesellschaftliche Tabuthema unserer Zeit. Und die Menschen sind dankbar, wenn mal jemand den Mund aufmacht, von seinem eigenen Versagen, aber auch dem erfolgreichen Kampf gegen den Alkohol berichtet – und damit all denen Mut macht, die Mut brauchen.
Deshalb bin ich stolz darauf, dass Ulis Frau Claudia, die ihren Mann von diesem Buch schließlich überzeugte, mir im Spätsommer 2011 den Auftrag gab, Ulis Biografie zu schreiben. Viele Stunden sprachen wir über die Stationen seines Lebens, dass ich sie letztlich in der Ich-Form zu Papier gebracht habe, ist der stilistischen Auswahl geschuldet. Es ist die Geschichte von Uli Borowka, Fußballer und Alkoholiker, aber es ist auch eine Geschichte von Aufstieg, Erfolgen, Abstieg, Niederlagen – und letztlich Zuversicht. Denn das ist Uli: Fleischgewordene Zuversicht und Hoffnung darauf, dass das Leben nicht zwangsläufig beendet sein muss, selbst wenn man das eigene Leben mit Vollgas gegen die Wand gefahren hat.
ANPFIFF
März 1996. Vor vier Jahren war ich auf dem Gipfel. Damals in Lissabon. 2:0 mit Werder Bremen im Finale des Europapokals der Pokalsieger gegen den AS Monaco. Europapokalsieger. Was für ein schönes Wort. Dieter Eilts schor mir eine Glatze, ich sah aus wie eine Bowlingkugel. Eine Bowlingkugel, die gerade den Europapokal gewonnen hatte! Werder und Monaco. Lissabon. Allofs und Rufer. Rehhagel betritt deutschen Boden. Die Fans. Der Jubel. Der Ruhm. Das Gefühl, einer der besten Fußballer der Welt zu sein. Der Eisenfuß. Die Axt. Ein Held. Meine Fresse, ist das lange her.
Jetzt sitze ich auf einer dreckigen Matratze in meinem leeren Wohnzimmer in meiner leeren Villa. Voll bin nur ich und das nicht zu knapp. Habe einen Kasten Bier und vier Flaschen Wein gesoffen. Oder waren es nur zwei Flaschen? Drei? Fünf? Scheißegal. Vor vier Jahren stand an dieser Stelle noch ein teures Designersofa. Als ich nach Hause kam, saß dort meine Frau mit meinen beiden Kindern und wartete auf mich. Ich erzählte ihnen eine Gute-Nacht-Geschichte aus dem Stadion des Lichts in Lissabon. Zwei wunderbare Kinder, eine bildhübsche Frau. Eine 250-Quadratmeter-Villa im noblen Bremer Stadtteil Oberneuland. Drei Autos vor der Tür. Stammspieler bei Werder Bremen. Der meist gefürchtete Abwehrspieler der Bundesliga. Europapokalsieger. Ich hatte alles.
Jetzt sind sie alle weg. Meine Frau ist mit unseren beiden Kindern zu ihren Eltern geflohen. Weil ich sie sturzbetrunken im Streit mit dem Kopf gegen die Wand geschlagen habe. Sie wird nicht mehr zurückkommen. Bei Werder Bremen haben sie mich rausgeschmissen. Sie sagen, ich habe ein Alkoholproblem. Ich bin 33 Jahre alt, die Knie tun weh, meine Karriere ist im Eimer. Die Autos vor der Tür habe ich verkauft. Vergangene Woche habe ich ein Umzugsunternehmen angerufen. Die Möbel, die Klamotten, die Fotos an den Wänden, Tische, Schränke, Stühle, Teller, Tassen, Gläser, Pokale, Medaillen und Urkunden, alles ist weg. Ich habe den Möbelpackern die neue Adresse von meiner Frau und von meinen Eltern in die Hände gedrückt. Weg, bloß weg mit dem ganzen Zeugs. Der Makler war schon hier, die Villa wird verkauft. Nur noch ich bin da. Ich, die Matratze, ein Kühlraum voller Alkohol und die Hausapotheke.
Ich besaufe mich, das kann ich gut. Erstaunlich, wie viel ein Mensch verträgt, bis er den Verstand verliert.
Da! Ein Schrei! Der kam von oben, aus den Kinderzimmern! Mein Sohn Tomek ist fünf Jahre alt und hatte früher immer so schlimme
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