Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
Aluminiumdach zehn Meter über unseren Köpfen. Erst Wochen später erfuhren die Meister die Ursache für den Knall, der ihre Mittagspause so abrupt beendet hatte.
Parallel zur Ausbildung mit Schweißgerät und Blaumann feilte ich natürlich weiter an meiner Karriere als Fußballspieler. Statt Schokoküsse verteilte ich Pferdeküsse, statt wilde Werkbank-Experimente auszutesten, malochte ich im Training und in den Punktspielen. Im letzten A-Jugend-Jahr wechselte ich von Kalthof zum DSC Wanne-Eickel in die Westfalenliga, damals die höchste Spielklasse der Region. Mein Kumpel Peter Potthoff, der ein Jahr vorher von Kalthoff Richtung Wanne-Eickel gewechselt war, hatte mich beim DSC empfohlen. Hatte der Fußball zuvor schon sehr viel Zeit in meinem Leben eingenommen, dominierte er nun alles. Von acht bis 16 Uhr stand ich jeden Tag im Blaumann an der Werkbank, dreimal die Woche fuhren Peter und ich eine Stunde zum Training und wieder zurück. Wenn ich dann um 23 Uhr im Bett lag, war ich meistens fix und fertig. Beim DSC rückte ich von der linken offensiven Außenbahn ins defensive Mittelfeld. Als defensiver Zweikampfspezialist war es meine Aufgabe, die gegnerischen Spielmacher an die Kette zu legen. Was ich, bei aller Bescheidenheit, ganz ordentlich tat. Wenn auch nicht immer mit fairen Mitteln. Nicht selten schoss ich über das Ziel hinaus. Wie mein Vater auf dem Oeser Ascheplatz war ich bald als harter Hund berühmt-berüchtigt. Waren es die Gene, die dafür sorgten, dass ich im Schlagerspiel gegen die A-Jugend von Schalke 04 nach nicht einmal zehn Minuten den gegnerischen Wunderknaben im Mittelfeld, einen gewissen Wolfram Wuttke, so heftig über den Haufen grätschte, dass er mit dem Krankenwagen vom Platz gefahren werden musste? Eher nicht. Meine Gegner von einst werden das bestreiten, aber sehr häufig kam ich einfach zu spät. Nicht selten habe ich dafür die Zeche bezahlt. So war es zumindest auf dem kleinen Nebenplatz der alten Schalker Glückaufkampfbahn, als mich nach dem Spiel wütende Rentner mit Regenschirmen und Krückstöcken bis in die Kabine verfolgten.
1980, das Jahr der großen Veränderungen. Die Lehre hatte ich erfolgreich absolviert, den Führerschein für Motorrad und PKW in der Tasche. Was mir jetzt zu meinem Glück noch fehlte, war ein Vertrag als Fußballprofi, und wenn nicht das, dann doch wenigstens ein Vertrag als Amateur. In all den Jahren hatte ich keinen Gedanken an eine Zukunft als Fußballprofi verschwendet. Denn: Waren nicht all die anderen Jungs die weitaus besseren Kicker? Die größeren Talente? Aber jetzt, da ich so weit gekommen war, sollte es noch nicht zu Ende sein. Ich war ein Junkie, der seinen Stoff brauchte: Fußball! Schließlich versprach mir der DSC Wanne-Eickel das zu geben, was ich so dringend benötigte. 1978 hatte die erste Mannschaft den Aufstieg in die damals noch zweigleisige Zweite Bundesliga geschafft, im Frühjahr 1980 bot man mir einen Vertrag für die kommende Saison an. Stolz wie ein Spanier rannte ich zu Hause in Oese meinen Kumpels die Bude ein und protzte mit meiner rosigen Zukunft als Profi beim DSC. Ein schwerer Fehler. Nur wenige Tage später wurde bekannt, dass der von Mäzen Robert Heitkamp geführte Club die vom DFB neu eingerichtete eingleisige Zweite Bundesliga doch nicht würde finanzieren können. Vor meinen Augen zerbrach das zarte Gebilde Fußball-Zukunft in tausend Scherben. Der DSC Wanne-Eickel verabschiedete sich in die Oberliga und meinen Vertrag konnte ich in die Tonne treten. Der Spott meiner Freunde brannte wie Feuer, wenigstens meine Familie hatte Mitleid mit mir. Meine Eltern wussten genau, wie viel mir diese Chance als Zweitligaprofi bedeutet hatte. Ich lag auf meinem Zimmer und starrte an die Decke. Unten, in der Gaststätte, jaulte Bernd Clüvers »Der Junge mit der Mundharmonika« aus den Boxen unserer »Rock Ola«-Jukebox. »Da war ein Traum, der so alt ist wie die Welt …«
Mein Traum, da war ich mir in diesem Moment sicher, war unwiderruflich zerstört. Was hatte all die Plackerei auf dem Trainingsplatz jetzt noch für einen Sinn? Sollte ich mit dem Fußball aufhören? Vielleicht war es besser so.
Fachklinik Fredeburg
Therapie- und Rehabilitationszentrum für Abhängigkeitserkrankungen
Name: Borowka, Uli
Datum: 14. März 2000
Tagesbericht
Heute ist mein erster Tag im Therapiebereich der Suchtklinik Fredeburg. Eine von vielen Aufgaben, die mir meine Therapeuten gestellt haben, ist ein täglicher
Weitere Kostenlose Bücher