Uli Borowka - Volle Pulle: Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker (German Edition)
mich damals der schönste Ort der Welt! Nicht nur dass man mich in die Westfalenauswahl berufen hatte – zeitgleich bereitete sich hier auch die deutsche Nationalmannschaft auf ein Testspiel gegen die Ungarn vor. Mein Idol Rainer Bonhof, Franz Beckenbauer, Gerd Müller, die Gladbacher Torwartikone Wolfgang Kleff, alle waren sie da. Meine Helden trainierten auf den gleichen Plätzen wie ich! Ich war mir sicher, mit elf Jahren bereits auf dem Höhepunkt meiner Karriere angekommen zu sein. Einen Tag nach unserer Ankunft in Kaiserau, am 17. April 1974, durften wir uns sogar den großartigen 5:0-Sieg im Dortmunder Westfalenstadion anschauen, der Verband hatte uns Freikarten besorgt. Nicht einmal drei Monate später wurde diese Mannschaft Weltmeister. Wenn mir einer in diesen Tagen gesagt hätte, dass ich nur wenige Jahre später gemeinsam mit Wolfgang Kleff das Zimmer bei Auswärtsspielen mit Borussia Mönchengladbach teilen und beim Abschiedsspiel von Rainer Bonhof mit auflaufen würde, ich hätte ihn ganz sicher für geisteskrank erklärt.
Wie schnell und brutal das Fußballgeschäft sein kann, musste ich dann einen Tag nach dem Länderspiel von Dortmund erfahren. Nach der letzten Übungseinheit rief mich unser Auswahltrainer zu sich. »Borowka«, sagte er, »du bist zu klein und schmächtig für unsere Mannschaft. Pack deine Sachen und ruf deine Eltern an, sie sollen dich abholen.« Eben noch drängelte ich mich auf ein Foto mit meinem Idol Rainer Bonhof, glaubte auf dem Höhepunkt meiner noch jungen Karriere angekommen zu sein, und jetzt dieser Nackenschlag. Die Worte meines Trainers brannten wie Peitschenhiebe. Mein Vater musste mich aus Kaiserau abholen. Heimlich verdrückte ich auf dem Beifahrersitz ein paar Tränchen.
Ein Rückschlag, aber bald hatte ich die Schmach von Kaiserau vergessen. Ich schlug mich relativ durchwachsen durch meine Schulzeit, die großen Erfolge feierte ich weiter auf dem Fußballplatz. Nicht ohne Folgen. Ich war 13, als ich das erste Transferangebot meines Lebens erhielt. Herr Eckmann, der erfolgreichste Stahlhändler der Region, war ein Fußballverrückter, der sich in den Kopf gesetzt hatte, den nahen SSV Kalthof mit semiprofessionellen Strukturen auszustatten. Dafür brauchte es Geld und das hatte Stahlhändler Eckmann, dessen Söhne ebenfalls beim SSV spielten, mehr als genug. Die Kalthofer wollten mich unbedingt haben! Lange Rede, kurzer Sinn: Ich verließ den FC Oese, um fortan beim SSV Kalthof in einer wesentlich höheren Liga zu kicken. Ein ganz normaler Vereinswechsel. Würde man denken. Nicht so im Mikrokosmos Oese. »Dreckige Spelunkenwirte« war noch eine der harmloseren Beleidigungen, die sich meine Eltern in der Folgezeit gefallen lassen mussten. Einige Teams boykottierten gar unsere Gaststätte und verlagerten ihre Besprechungen und Mannschaftsabende in die Umkleidekabinen. Und das alles, weil der Sohn der Gastwirte den Verein gewechselt hatte! Meine Eltern trugen diese lächerlichen Reaktionen einiger Sturköpfe mit Fassung. Viele Jahre später, als ich längst ein bekannter Bundesligaspieler in Diensten von Borussia Mönchengladbach geworden war, tauchten die gleichen Personen wieder in unserer Kneipe auf und baten dreist um Freikarten für den Bökelberg. Wir haben nie darüber sprechen können, aber ich weiß, dass mein Vater in diesem Moment einen stillen Triumph feierte, der zumindest teilweise all die Jahre der Anfeindungen vergessen ließ.
Ich wurde älter, kam in die Pubertät und nicht nur auf dem Kopf wuchsen die Haare nun, wie sie wollten. Um Mädchen und Partys machte ich häufig einen großen Bogen, denn längst war der Fußball zu meiner Religion geworden, und die galt es nun einmal zu befolgen. Eine Freundin? Konnte ich mir nicht leisten. Erst mit 17 lernte ich Simone aus der Nachbarstadt Iserlohn kennen und musste einsehen, dass jedes Zirkeltraining ein Klacks gegen die Schwierigkeit ist, eine Frau erfolgreich zu beeindrucken. Aber damals? Nicht eine Trainingseinheit wollte ich versäumen, und welches Mädchen hätte es schon verstanden, wenn ich, statt mit ihr ins Kino zu gehen, zum Waldlauf verschwunden wäre? Ich himmelte nicht die Schulschönheiten, sondern mein Idol Rainer Bonhof an. Der hatte einen Schuss wie ein Pferd und konnte rennen wie ein Marathonläufer. Schusskraft und Kondition, viel mehr hatte ich als Fußballer, ehrlich gesagt, auch nicht in die Waagschale zu werfen. Fast alle meine Mitspieler waren talentierter und konnten geschickter
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