Ulysses Moore – Die Stadt im Eis
schienen. Bald wagte er nicht mehr aufrecht zu laufen, sondern robbte von einem Strauch zum nächsten, so als sei er ein Geheimagent und als wäre in der Villa jemand, der jederzeit auf ihn schießen könnte.
Diese Fortbewegungsart verlangsamte natürlich sein Vorwärtskommen, und er brauchte über zehn Minuten, um am Gerätehäuschen anzukommen. Und als er es endlich erreicht hatte, waren die Schreie und Schläge gegen die Tür seltener und leiser geworden.
Er überwand den letzten Abschnitt der Strecke kriechend und rang sich schließlich durch, hinter einem Rosmarinstrauch vorzuspähen.
»Doktor Bowen?«, zischte er.
Es hörte eine Bewegung und dann einen Knall. Um ein Haar wäre er von einer Kugel getroffen worden.
»He! Sind Sie verrückt geworden?«
»Ich habe eine Pistole!«, rief der Arzt im Häuschen.
»Und das ist für Sie ein Grund, mich zu erschießen?«, protestierte der kleine Flint.
»Wer bist du?«, fragte der Doktor.
»Ich heiße Flint.«
»Dem Himmel sei Dank! Flint! Mein lieber Junge! Lass mich sofort hier raus!«
Der kleine Flint hatte keine große Lust dazu. Schließlich wäre er gerade eben beinahe von ihm umgebracht worden.
»Was ist denn passiert?«, fragte er misstrauisch.
»Ich wurde in eine Falle gelockt«, berichtete der Arzt. »Diese beiden verantwortungslosen Subjekte … Sie standen mit den Kindern im Bunde! Mit dem Zwillingsmädchen aus London und ihrem kleinen Verlobten, diesem Banner.«
Banner? Ihr …
Verlobter?
Dieses Wort drang wie ein vergifteter Pfeil in das Herz des kleinen Flints. Doch anstatt ihn zu töten, weckte es in ihm eine blinde Wut.
»Wie kann ich Sie da rausholen?«, fragte er, ohne weiter zu zögern.
»Such nach dem Schlüssel für das Vorhängeschloss. Ich habe gesehen, wie der Rothaarige ihn hier ganz in der Nähe versteckt hat«, antwortete der Doktor und klopfte ungeduldig mit den Fäusten gegen die Wände des Geräteschuppens.
Der kleine Flint ließ sich das nicht zweimal sagen. Er suchte rasch die Umgebung der Tür ab und brauchte nicht lange, bis er den Schlüssel im Blumentopf gefunden hatte.
»Man versteckt den Schlüssel immer im Blumentopf«, sagte er triumphierend, während er aufschloss.
Doktor Bowen und der kleine Flint gingen mit entschlossenen Schritten auf das Haus zu. Leise schlichen sie hinein, der Arzt vorneweg mit erhobener Pistole, wie in einem Krimi. Gleich hinter ihm lief der kleine Flint, sein neuer Verbündeter, und schleppte den gefüllten Benzinkanister mit sich, den sie im hintersten Winkel des Schuppens gefunden hatten.
Sie durchquerten die Küche und erreichten das große Wohnzimmer mit dem Kamin. Von dort aus gingen sie in ein kleineres Zimmer, in dem auf einem Tischchen das Telefon stand. Sie vergewisserten sich, dass es immer noch nicht funktionierte, und spähten dann in das Zimmer mit der gemauerten Decke.
Am Fuß der Treppe blieben sie stehen.
Irgendwo oben musste ein offenes Fenster sein, denn sie hörten, wie der Wind es immer wieder gegen seinen Rahmen schlagen ließ. Sie stiegen die Treppe hoch, um auch das obere Stockwerk zu überprüfen.
»Sie sind nicht da«, sagte Doktor Bowen, nachdem er überall nachgesehen hatte und sie wieder ins Erdgeschoss zurückgekehrt waren. »Aber sie werden mir nicht entkommen!« Vor Wut trat er nach der Statue der Fischerin, vor der er gerade stand. Die Statue kippte um und der Kopf brach ab.
Als er das sah, fühlte sich der kleine Flint, als habe man ihm ein Messer in die Brust gerammt. Er musste an die Stimme des Gespensts denken, an die Kapitänsjacke des ehemaligen Besitzers der Villa Argo und wieder fingen seine Knie an zu zittern.
»Sie werden schon sehen, was sie davon haben!«, tönte inzwischen Doktor Bowen und richtete den Lauf seiner Pistole gegen die Decke. »Flint!«, rief er dann. »Nimm schon mal die hier!« Er reichte ihm eine Streichholzschachtel. »Fang mit dem Gärtnerhaus an. Gieße das Benzin ringsum aus. Und dann kommt dieses Haus dran. Mach dir keine Sorgen, es wird gar nicht so schwierig sein: Die Gebäude sind alt und überall ist Holz, sie werden brennen wie Zunder!«
»Und was machen Sie inzwischen?«
»Ach, mach dir um mich mal keine Sorgen!« Der Doktor ließ ein unheimliches Lachen hören. »Was auch geschieht, denk einfach nicht mehr an mich.«
In fieberhafter Eile zog er aus der Innentasche seines Jacketts die Brieftasche, nahm alle Geldscheine heraus, die sich darin befanden, und hielt sie dem kleinen Flint hin.
Der schüttelte den
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