Ulysses Moore – Die steinernen Wächter
von zarten Blumenranken eingerahmt wurden. Hier und da gab es auch Illustrationen. Die meisten davon zeigten komplizierte Schlösser und Mechanismen, die geheime Fächer in Schränken, Truhen oder Häusern verbargen. Pfeile und nummerierte Hinweise halfen zu verstehen, wie die jeweiligen Vorrichtungen funktionierten: Wenn man zum Beispiel Hebel Nummer eins im Inneren eines Kerzenleuchters betätigte, setzte man dadurch das Gewicht in Bewegung, das mit Rolle Nummer zwei verbunden war und über den Zapfen Nummer drei die Tür Nummer vier öffnete, die bis dahin wie ein ganz normaler großer Wandspiegel ausgesehen hatte.
Interessiert studierte Jason die Mechanismen, dank derer das Zahlenschloss »Woronow« nur ein einziges Mal geöffnet werden konnte und sich danach sogleich selbst zerstörte. Er las aufmerksam, wie der Bart eines besonderen Schlüssels namens »Coquebrune« hergestellt wurde, der vom französischen Adel verwendet worden war, um den Schmuck im Haus zu verstecken.
»Unglaublich ...«, murmelte er immer wieder, völlig versunken in die Betrachtung von Ketten und Schlössern, Panzerschränken und Geheimfächern, Drehtüren und verborgenen Treppen.
Plötzlich aber fiel ihm wieder ein, warum er nach diesem Buch gesucht hatte. Er schlug es zu und öffnete es nun hinten, wo er ein Register vermutete.
Das Handbuch war eigentlich eine Sammlung von Artikeln verschiedener Autoren. Jason legte das Buch zwischen sich und seine Schwester und ließ seinen Zeigefinger im Verzeichnis der Autoren bis zu folgendem Eintrag gleiten: Raymond Moore. Kurze wissenschaftliche Abhandlung über die acht Türen von Cornwall. Gedanken eines Ingenieurs und Träume eines Einbrechers. Ab Seite 223 .
»Acht Türen!«, rief er und blätterte hastig, bis er die richtige Seite fand.
»Raymond Moore«, flüsterte Julia nachdenklich und sah zu dem Stammbaum oben an der Decke hinauf. Sie ließ den Blick an den Ästen entlanggleiten, beim letzten, Ulysses, beginnend bis hin zu Xavier, dem Urahn aller Moores. »Da ist er«, stellte sie triumphierend fest, als sie Raymond gefunden hatte, der näher bei Xavier als bei Ulysses war. Er war mit einer gewissen Lady Fiona verheiratet gewesen.
Julia zählte, wie viele Generationen zwischen ihm und Ulysses Moore lagen, und sagte dann: »Wir sprechen hier von jemandem, der vor mindestens vierhundert Jahren lebte.«
»Leonard Minaxo hat mir auch schon von ihm erzählt«, berichtete Jason.
»Von Raymond Moore? Bei welcher Gelegenheit?«
»Gestern«, erinnerte Jason sich. »Als wir zusammen in den Turtle Park gefahren sind, erzählte er mir, der Park sei von einem Vorfahren der Moores entworfen worden: von genau diesem Raymond.« Und er zeigte auf den Namen des Autors. »Allerdings hat Leonard zuerst gesagt, Raymond wäre sein Vorfahre gewesen.«
»Also ist der Leuchtturmwärter ...«
»Genau«, bestätigte Jason und begann zu lesen.
Der Zeit entsprechend, in der er geschrieben worden war, las sich der Artikel furchtbar umständlich und kompliziert. Nach einer sehr langen Einleitung erklärte Ulysses’ Vorfahre dem Leser, er habe von der Existenz eines kleinen Dorfes im Süden Cornwalls erfahren, das nur über das Meer erreichbar sei und in dem es eine Reihe von Türen mit seltsamen Schlössern gebe. Zeichnungen der Schlösser ergänzten den Text. Das Dorf, so schrieb er weiter, bestehe nur aus einigen wenigen gemauerten Häusern und besitze keinerlei weitere Besonderheiten, wenn man einmal von der zauberhaften Landschaft absehe, die jedoch für den gesamten Küstenabschnitt typisch sei.
Julia machte Jason darauf aufmerksam, dass Raymond offenbar darauf geachtet hatte, den Namen Kilmore Cove nicht zu erwähnen und stattdessen zu betonen, dass es keinerlei Straßen gebe, die zu diesem Dorf führten.
Die acht Türen mit den besonderen Schlössern seien, so der Verfasser weiter, auf verschiedene Gebäude im Dorf verteilt: eine Poststation, ein malerisches Häuschen, das »Eulenhaus« genannt werde, das Haus eines Fischers, ein Stall, ein antiker Tempel auf einer Hügelkuppe, der Bauernhof der Familie Beamish, der Wachturm und der Leuchtturm.
Eigenartigerweise, schrieb Raymond Moore, befände sich keine dieser Türen in einem stattlicheren Bauwerk wie etwa der Kirche, sondern in eher bescheidenen Behausungen und Gebäuden. Eine sei sogar einfach nur auf einem Karren abgestellt gewesen.
Sämtliche Türen seien aus sehr stabilem und hartem Holz von dunkler Farbe hergestellt worden. Eine scheine
Weitere Kostenlose Bücher