Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod

Titel: Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ortwin;Höhn Ennigkeit
Vom Netzwerk:
tatsächlich Zwang angewandt oder Schmerzen zugefügt würden. Mit diesem Gedanken im Kopf verließ ich Daschners Büro.
    Über die rechtliche Seite dachte ich nicht weiter nach. Die Führungsriege der Frankfurter Polizei hatte zwar auf ein eventuelles Beweisverwertungsverbot hingewiesen, aber niemand hatte rechtliche Bedenken angemeldet oder gar konkret von einer möglichen Strafbarkeit gesprochen.
    In den wenigen Minuten, die mir blieben, hatte ich keine Chance und keine Möglichkeit, zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Ich wollte es auch gar nicht.
    Daschners Überlegungen riefen Bilder von anderen Entführungen in meinem Kopf wach. Ich sah angsterfüllte Augen, die mich anflehten, Schläuche, die aus der Erde ragten und Luft in ein Verlies zu dem lebendig begrabenen Opfer leiten sollten.
    – Gernot E.
    Am 19. Oktober 1976 wurde der 32-jährige Brauereierbe entführt. Trotz Zahlung des Lösegeldes wurde er tot in einem verfallenen Westwall-Bunker aufgefunden. Er war an die Wand gekettet. Gernot E. ist an Unterkühlung und Entkräftung gestorben.
    – Eustachius H.
    Der sechsjährige Junge wurde am 20. Dezember 1976 von dem hoch verschuldeten Karl-Heinz Krämer entführt. In Panik erdrosselte er das Kind mit einem Draht, steckte es in einen Sack und versteckte das Bündel im Wald. Daraufhin rief er die Eltern an und verlangte Lösegeld für die Freilassung des Jungen.
    – Ursula H.
    Am 15. September 1981 wurde das zehnjährige Mädchen in Eching von seinem Fahrrad gerissen und entführt. Die Täter versteckten das Kind in einer Kiste, die in einem Erdloch vergraben war. Ursula erstickte qualvoll in dem Versteck. Die Täter verlangten dennoch Lösegeld. Zur Geldübergabe kam es nicht mehr, da die Polizei am 4. Oktober das Verlies mit dem toten Mädchen gefunden hatte.
    – Nina von G.
    Die Achtjährige wurde am 18. Dezember 1981 auf dem Schulweg entführt. Nach 149 Tagen kam sie nach Zahlung des Lösegeldes frei. Einen Teil der Entführungszeit verbrachte das Mädchen in einer Holzkiste. Die Entführer wurden nie gefasst.
    – Johannes E.
    Am 6. März 1981 entführten drei Männer den elfjährigen Sohn des KEC-Präsidenten Jochen E. und ließen ihn nach zwei Wochen gegen die Zahlung von drei Millionen Mark wieder frei. Zwei Wochen verbrachte der Junge angekettet in einem 1,50 mal 2,00 mal 1,60 Meter kleinen Bretterverschlag.
    – Jacub F.
    Der 40-jährige Mann wurde am 1. Oktober 1996 vor seinem Frankfurter Büro verschleppt und in einem Verschlag gefangen gehalten. Da einem der Täter die Maske verrutscht war und er Angst bekam, erkannt worden zu sein, erschlugen sie F. mit einem Spaten im Wald. Danach verlangten sie vier Millionen Mark Lösegeld für die Freilassung des Opfers.
    – Matthias H.
    Der 20-Jährige wurde am 14. September 1997 bei Potsdam entführt und, wie durch die Erpresserbriefe bekannt war, in einem Erdloch vergraben. Die Polizei fasste die Entführer zufällig einige Tage nach der Lösegeldübergabe. Erst nach langen und mühsamen Verhören gaben sie den Aufenthaltsort des jungen Mannes preis. Er war mittlerweile in dem Erdloch qualvoll verhungert und verdurstet. Vor Verzweiflung hatte Matthias H. noch versucht, seinen Schuh aufzuessen.
    Und es gab noch andere.
    Mit schnellen Schritten näherte ich mich nach der Besprechung mit Daschner unserer Abteilung und sah Jürgen P. mit einer Frau mittleren Alters vor seinem Büro stehen und sprechen. Es stellte sich heraus, dass es sich um Gäfgens Mutter handelte.
    Ich fragte Jürgen, ob es etwas Neues gebe, was er verneinte.
    Gäfgen erinnert sich in seinem Buch Allein mit Gott – Der Weg zurück anders und unzutreffend. Er meint, dass ich ihn zusammen mit einem weiteren Kollegen aus der Gewahrsamszelle abgeholt hätte.
    Jürgens Büro war circa zwölf Quadratmeter groß; gegenüber der Tür gab es ein Fenster zu einem der Innenhöfe des Präsidiums. An den Wänden rechts und links befand sich jeweils eine Verbindungstür zu den angrenzenden Büros. Die Türen waren geschlossen. Im Bereich des Fensters stand ein halbwegs moderner grauer Schreibtisch. Gäfgen saß auf einem Bürostuhl. Der Stuhl stand vor der rechten Verbindungstür.
    Ich nahm mir einen Besucherstuhl und setzte mich ebenfalls hin. Wir saßen einander direkt gegenüber. Zwischen unseren Beinen war ein Abstand von circa 30 Zentimetern, zwischen unseren Oberkörpern ein Abstand von mehr als einem Meter.
    Ich suchte seine Augen und blickte ihn schweigend an. Ich sah ihn das erste Mal.

Weitere Kostenlose Bücher