Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
mit dem Fall in Frankfurt/Main, wo die Polizei in einen solchen Fall verwickelt sei. Das Berliner Ministerium informierte die Frankfurter Staatsanwaltschaft davon. Mit der Aufforderung zur schnellen Stellungnahme, die man an die neue UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, die Kanadierin Louise Arbour, weiterleiten will. Und auch mit dem klaren Hinweis, dass die Ankläger alles sehr, sehr genau prüfen sollen. Schließlich dürfe sich Deutschland, das Folter und andere Menschenrechtsverletzungen weltweit anprangert, keinen solch schlimmen Ruf leisten.«
Damit war für mich klar, dass aus dem Versuch, das Leben eines Kindes zu retten, endgültig ein politischer Prozess geworden war und wir nicht mehr mit einem objektiven Verfahren zu rechnen hatten.
Die Hauptverhandlung vor der 27. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main begann am Donnerstag, dem 18. November 2004, um 9.30 Uhr. Bereits zwei Stunden zuvor hatte ein Team der ARD vor dem Eingang Stellung bezogen, »der Kameramann sich die beste Position ergattert«. Daschners Wohnung wurde seit 6 Uhr von Reportern der Bild -Zeitung belagert. Gegen 9 Uhr war die Zahl der Teams auf 13 angewachsen, und Dutzende Journalisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz warteten auf den »Prozess des Jahres«; insgesamt 54 hatten sich akkreditieren lassen. Vor dem Gerichtsgebäude demonstrierten Anhänger der »Autonome-Antifa« gemeinsam mit den hessischen Jungdemokraten gegen »Hessen vorn: Folter, Überwachung, Abschiebung« – als Verantwortlichen im Sinne des Pressegesetzes nannten sie den Polizeivizepräsidenten mit seiner privaten Wohnanschrift. Und dort randalierte am Nachmittag des folgenden Tages eine Horde teilweise vermummter Chaoten der linksextremistischen Szene mit Megaphonen und Flugblättern.
Als wir mit unseren Verteidigern den Gerichtssaal betraten, erwarteten uns die Fotografen mit einem nicht enden wollenden Blitzlichtgewitter und zahlreiche Filmkameras. Es ging nicht darum, »irgendein« Foto zu schießen – es sollte möglichst negativ sein, uns von unserer hässlichsten Seite zeigen, jeder Wimpernschlag, jede Regung konnte dabei hilfreich sein, am besten auf Tuchfühlung, auch wenn dabei der Tisch gegen die Anklagebank gedrückt wurde. »Die Würde des Menschen ist unantastbar« – aber wir waren ja keine Menschen, sondern Folterknechte, vorverurteilt und zur Schau gestellt wie Tiere im Zoo.
Nach der Eröffnung der Sitzung durch die Vorsitzende Richterin Bärbel Stock trat der Staatsanwalt Wilhelm Möllers forsch auf und verlas die Anklage. Im Anschluss daran trug der ehemalige Polizeivizepräsident Daschner eine 13-seitige Stellungnahme vor. Dazu muss ich sagen, dass uns unsere Anwälte geraten hatten, die Statements vorzubereiten und vorzulesen. Daschner betonte seine Problematik, die durch die »Deadline« bestimmt war, also das Ablaufen der vier Tage Gefangenschaft von Jakob und der Befürchtung, er könnte verdursten oder erfrieren. Ich legte mehr Wert auf die Darstellung meines Verhörs von Gäfgen, um die monatelange Falschdarstellung zu korrigieren. Ich gebe unsere Statements gekürzt wieder, um Wiederholungen zu vermeiden. Daschner begann:
»Wir wollten das Leben von Jakob retten. Am vierten Tag der Entführung hatte sich die Situation so zugespitzt, dass ich eine Entscheidung treffen musste.« Seine wesentlichen Aussagen waren:
– Es bestand begründete Hoffnung, dass Jakob am Morgen des 1. Oktober 2002 noch lebte. Der zunächst unbekannte Entführer musste damit rechnen, dass die Eltern die Zahlung des vollen Lösegeldes von einem aktuellen Lebenszeichen abhängig machen könnten. Außerdem hatte Gäfgen wenige Stunden zuvor ausgesagt, dass das Kind noch am Leben sei und in einer Hütte verwahrt werde.
– An der (Allein-)Täterschaft des Jurastudenten Magnus Gäfgen bestand kein vernünftiger Zweifel. Er hatte das Lösegeld abgeholt und in seiner Wohnung versteckt, bei mehreren Geldinstituten durch Einzahlungen die Echtheit und Unverdächtigkeit der Geldscheine geprüft und einen Mercedes CLX bestellt. Darüber hinaus wurden in seiner Wohnung weitere Beweismittel gesichert, vor allem eine stichpunktartige Auflistung des Ablaufs der Entführung.
– Mit der Identifizierung Gäfgens war klar, dass das Opfer seinen Entführer kannte – und aus dessen Sicht nicht überleben durfte. Er hatte das Todesurteil längst gesprochen, wir mussten verhindern, dass er es vollstrecken konnte. Gäfgen musste keine Gewalt
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