Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
er beispielsweise eine Nötigung, einen Verwahrungsbruch oder eine Gefangenenbefreiung »begeht«, vielmehr muss in der Tat ein über die bloße Amtsträgerschaft hinausgehender Missbrauch zum Ausdruck kommen.
Dies wird nach der strafrechtlichen Fachliteratur in der Regel nur anzunehmen sein, wenn er mit einem Verbrechen droht, wenn er bei der Tat seine Befugnisse »gröblich missbraucht« oder wenn die Tat für den Täter voraussehbar zur Folge hat, dass der Genötigte oder die dritte Person, die das angedrohte Übel treffen soll, sich tötet oder zu töten versucht. Dass diese Voraussetzungen bei dem Versuch, das Leben eines entführten Kindes zu retten, auch nicht annähernd gegeben waren, lag auf der Hand (und wurde auch vom Gericht im Urteil so bewertet).
Sechzehn Monate hat es gedauert, bis die Staatsanwaltschaft ihre juristische Prüfung, noch dazu mit einem höchst fragwürdigen Ergebnis, abgeschlossen hatte: Die »Komplexität der Materie«, die »Einmaligkeit des Falles« habe »alles sehr kompliziert« gemacht ( Frankfurter Neue Presse , 21.02.2004). Dem Polizeivizepräsidenten standen dafür unter höchster psychischer und physischer Belastung nur wenige Stunden zur Verfügung; ich selbst hatte nur wenige Minuten Zeit, eine eigene rechtliche Bewertung vorzunehmen.
»Heute ist der Tag der Entscheidung. Heute um 10.30 Uhr wird die Staatsanwaltschaft verkünden, was man dem Frankfurter Polizei-Vize Wolfgang Daschner vorwirft. Wofür er angeklagt wird und vor den Richter muss«, schrieb die Bild -Zeitung am 20. Februar 2004. Das Interesse der Medien sei riesig, sogar international. Es hatten sich so viele Journalisten und Kamerateams angemeldet, dass der normale Raum nicht ausreiche; die Staatsanwaltschaft sei deshalb in den größten Saal im ganzen Gerichtsviertel ausgewichen. Bereits eine Stunde später teilte die Pressestelle des Hessischen Innenministeriums mit: »Wolfgang Daschner mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben als Frankfurter Polizeivizepräsident entbunden.« Er sei ins Landespolizeipräsidium nach Wiesbaden abgeordnet worden und werde dort bis auf weiteres »verwaltungsinterne Aufgaben« übernehmen. »Jetzt jagt er Schwarzarbeiter«, schrieb Bild dazu (21.04.2004).
Daschner wurde öffentlich, ich polizeiintern demontiert. Ich durfte bis auf weiteres keine strafprozessual relevanten Maßnahmen mehr durchführen.
»Die Vorwürfe sind abwegig«, erklärte der ehemalige Verfassungsrichter und Abgeordnete des Deutschen Bundestages Jürgen Gehb: »Was für ein Aufschrei wäre durch die Republik gegangen, wenn das Entführungsopfer noch am Leben gewesen und nur deshalb erstickt oder verdurstet wäre, weil es die ermittelnden Beamten unterlassen hätten, Druck auf den Tatverdächtigen auszuüben.« ( Bild , 24.02.2004)
Am 21. Juni 2004 beschlossen die Richter der 27. Großen Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main, die Anklage der Staatsanwaltschaft zur Hauptverhandlung zuzulassen. Gleichzeitig wurde der Antrag der Verteidigung, den Frankfurter Polizeipräsidenten Harald Weiss-Bollandt und den für die Entführungsfälle Johannes E. und Nina von G. verantwortlichen Leiter der Kriminalpolizei Köln als Zeugen zu vernehmen, zurückgewiesen; ihre Aussagen, die uns entlastet hätten, waren offenbar unerwünscht.
In den Fluren und in der Kantine des Frankfurter Justizgebäudes war schon jetzt, Monate vor der Eröffnung der Hauptverhandlung, die Rede von einem »salomonischen Urteil«: Die Angeklagten werden bestraft, damit gegenüber aller Welt dokumentiert wird, dass in Deutschland nicht gefoltert werden darf. Andererseits soll das Urteil unter Berücksichtigung der besonderen Situation so milde ausfallen, dass sich der Zorn des Volkes, in dessen Namen es gesprochen werden soll, in Grenzen hält und dass es von den Angeklagten hingenommen wird.
Rechtzeitig vor Beginn der Hauptverhandlung meldete sich die hohe Politik zu Wort. Am 15. November 2004 berichtete Bild :
»Wenn am Donnerstag der Prozess gegen Wolfgang Daschner eröffnet wird, schauen Politiker, Juristen und Journalisten aus aller Welt nach Frankfurt.
Selbst die UNO hat sich aus New York eingeschaltet. Nachdem Menschenrechtler von Amnesty International schon gegen Daschners Vorgehen heftigst protestiert hatten, meldete sich jetzt auch die Menschenrechts-Kommission der UNO. In einem Schreiben an die Bundesregierung in Berlin bat sie um Aufklärung, was es mit den Folter-Vorwürfen gegen Deutschland auf sich habe. Besonders
Weitere Kostenlose Bücher