Um Leben und Tod - Ennigkeit, O: Um Leben und Tod
Urheber der Tat belastet. Auch im Strafverfahren wegen Mordes gegen ihn selbst hat er sein Aussageverhalten permanent geändert, und die Aussagen in diesem Verfahren enthalten noch Widersprüche zu früheren Aussagen und dem tatsächlichen Geschehensablauf. Ihm kann deshalb in diesem Verfahren in keinem Punkt geglaubt werden. Auch die Tatsache, dass er Herrn Ennigkeit und damit Herrn Daschner erst drei Monate nach der angeblichen Tat der Beschuldigten belastet hat, spricht gegen seine Glaubwürdigkeit.«
Zur rechtlichen Bewertung führte Prof. Dr. Simon aus, der Tatbestand der Aussageerpressung könne schon deshalb nicht erfüllt sein, weil die unterstellte Handlung ausschließlich der Gefahrenabwehr für das entführte Kind gedient hatte und in dem Strafverfahren gegen Gäfgen nicht verwertet werden durfte. Außerdem sei keine Gewalt »angedroht«, sondern auftragsgemäß lediglich als »angedachte« Entscheidung der Behörde mitgeteilt worden; dies gelte auch für das Merkmal »Drohung mit einem empfindlichen Übel« im Tatbestand der Nötigung nach § 240 StGB. Gäfgen habe den Verwahrort der Leiche des entführten Jakob von Metzler »allein aufgrund des dauernden Insistierens nach dem Aufenthalt des Kindes und des Abwehrens sämtlicher Ausflüchte« offenbart. Bei der Frage der Nötigung seien außerdem die Rechtfertigungsgründe aus dem Polizeirecht sowie der Notwehr und des Notstandes relevant; darüber hinaus sei der Versuch, das Leben des entführten Kindes zu retten, keineswegs als »verwerflich« im Sinne dieser Strafvorschrift zu werten. Auch Prof. Dr. Simon beantragte, das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen.
Ohne auf die Argumente der Verteidigung hinreichend einzugehen, stellte Staatsanwalt Möllers am 11. Februar 2004 den Abschluss der Ermittlungen fest und legte am selben Tag der 27. Strafkammer des Landgerichts Frankfurt am Main seine Anklageschrift vor. Auf 21 Seiten begründete er, dass ich mich wegen eines besonders schweren Falles der Nötigung, nämlich unter Missbrauch meiner Befugnisse und Stellung als Amtsträger, schuldig gemacht hätte, Polizeivizepräsident Daschner hätte mich als Vorgesetzter zu dieser rechtswidrigen Tat verleitet.
Lächerlich wirkte sein Versuch, den objektiven Tatbestand der Aussageerpressung und damit seine unzutreffende rechtliche Einordnung zu begründen:
»Die Frage, ob die angedrohten Zwangsmaßnahmen zum Zwecke der Gefahrenabwehr im Sinne einer Lebensrettung des entführten Kindes erfolgten, ist an dieser Stelle ohne Bedeutung, weil Gäfgen in dem ihm von der Polizei zugeteilten Status als Beschuldigter nicht verpflichtet war, überhaupt Angaben zur Sache machen zu müssen.«
Vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse und der kriminalistischen Erfahrung sei es »ohnehin am Morgen des Tattages sehr fraglich« gewesen, »ob das Kind überhaupt noch lebte«. Darüber hinaus sei die Absuche des Seengeländes noch nicht abgeschlossen gewesen, »und ein geplantes Ermittlungskonzept lag zur Umsetzung bereit«.
Immerhin räumte er ein, dass der subjektive Tatbestand dieses Verbrechens nicht erfüllt war, dies ergebe sich »bereits aus dem Vermerk des Beschuldigten Daschner mit Datum vom 01.10.2002, wonach ›die Befragung des Gäfgen nicht der Aufklärung der Straftat, sondern ausschließlich der Rettung des entführten Kindes dient‹.« Seit 16 Monaten war ihm dieser Satz bekannt, trotzdem hat er uns ein Jahr lang in der Öffentlichkeit als »Verbrecher« dargestellt, mit allen sich daraus ergebenden negativen Folgen für uns und unsere Familien.
Kaum ein Wort enthielt die Anklageschrift über den ungeheuren Zeitdruck am Morgen des 1. Oktober 2002, über die akute Lebensgefahr für Jakob von Metzler und über die Tatsache, dass er nach damals zutreffender Bewertung noch maximal zwei bis drei Stunden zu leben gehabt hätte. Auch der Umstand, dass sich die Gefährdungslage durch den Fund von Blutspuren am Schlaflager eines Kindes in einer Hütte zusätzlich erhöht hatte, blieb unerwähnt. Dass Gäfgen sich in dem gesamten Verfahren als notorischer Lügner präsentiert hatte, schien für Möllers ebenfalls ohne Bedeutung zu sein.
Nachdem der Verbrechenstatbestand der Aussageerpressung wie eine Seifenblase zerplatzt war, wollte Möllers wenigstens einen »besonders schweren Fall« der Nötigung begründet wissen. Dieser ist dann anzunehmen, wenn der Täter seine Befugnisse und seine Stellung als Amtsträger »missbraucht«. Es genügt nicht, wenn
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