Um Leben Und Tod
unerträglich.
Schwammig und nicht greifbar, so konstruierte Gäfgen sein Lügengebäude, mit gewissenloser Kälte. Und dann der Versuch einer schriftlichen Vernehmung:
Der Grund für meine heutige Vernehmung als Beschuldigter wurde mir genannt.
Mir wurde gesagt, dass ich dringend verdächtig bin der Täterschaft bzw. Mittäterschaft des erpresserischen Menschenraubes zum Nachteil des elfjährigen Kindes Jakob von Metzler, am Freitag, 27.09.2002, gegen 10.45 Uhr in Frankfurt, Mörfelder LandstraÃe. Ich wurde vor meiner schriftlichen Vernehmung vor dem mit mir geführten Einführungsgespräch bereits mündlich von dem Vernehmungsbeamten belehrt.
Diese Belehrung hatte ich verstanden.
Ich habe trotzdem bereits mündliche Angaben zu der Geldabholung am heutigen Morgen gegen 01.00 Uhr in Frankfurt, Oberschweinstiege, Haltestelle der Linie 14 in Richtung Neu-Isenburg, gemacht.
Ich möchte diese Angaben zunächst nicht in einer schriftlichen Vernehmung bestätigen.
Ich möchte zunächst mit meinem Anwalt am Morgen sprechen.
(Magnus Gäfgen unterschrieb diese Erklärung am 30.09.2002 im Polizeipräsidium Frankfurt)
Nachdem Olli Korn das erste vorläufige Durchsuchungsergebnis mitgeteilt hatte, wurde Polizeiführer Budecker von Kriminaloberrat Edwin F. [Name geändert] abgelöst. Gerhard Budecker hatte bis zu diesem Zeitpunkt Ãbermenschliches geleistet und war vollkommen ausgepumpt.
Edwin F. ordnete an, alle in der Nähe des Opfers beziehungsweise des Täters bestehenden Verwahrungs- und Versteckmöglichkeiten noch in der Dunkelheit zu durchkämmen. Daraufhin durchstreiften Hunderte von Polizisten mit 60 Suchhunden den Stadtwald. In Frankfurt-Sachsenhausen und den angrenzenden Gebieten wurde jeder alte Bunker, jedes leerstehende Haus durchsucht.
Im Morgengrauen sollten sie dann durch weitere Polizeikräfte, die teilweise aus den benachbarten Bundesländern angereist kamen, unterstützt werden.
Danach informierte Edwin F. das Lagezentrum des Landespolizeipräsidiums in Wiesbaden und Vizepräsident Daschner über den aktuellen Sachstand. Daschner hat danach mit seinem vorgegebenen Gesprächspartner gesprochen.
»Wir haben bisher keinen Anhaltspunkt für den Verwahrort des entführten Kindes. Der Täter ist zweifelsfrei überführt, verweigert dazu aber hartnäckig jede Aussage. Jakob kennt seinen Entführer und darf aus dessen Sicht als einziger Belastungszeuge nicht überleben. Wir haben akute Zeitnot, die Lebenserwartung Jakobs beträgt nur noch wenige Stunden. Wenn wir das Kind bis zum frühen Morgen des 1. Oktober nicht gefunden haben, muss notfalls mit unmittelbarem Zwang auf den Täter eingewirkt werden«, erklärte Vizepräsident Daschner.
»Verstehe, Instrumente zeigen.«
Das Gespräch war beendet. Rechtliche Bedenken wurden weder während des Gesprächs noch in den folgenden Stunden vorgetragen.
Deshalb beauftragte Wolfgang Daschner Polizeiführer Edwin F., gemeinsam mit seinem Führungsstab ein Stufenkonzept über die weitere Vorgehensweise zu erarbeiten. Neben der Fortführung der Vernehmung sollte vorrangig versucht werden, Gäfgen mit einer Person seines Vertrauens â wenn möglich mit seiner Mutter â zu konfrontieren. Sie sollte eindringlich an sein Gewissen appellieren. Das Konzept sollte aber als Ultima Ratio auch die Anwendung unmittelbaren Zwanges in Erwägung ziehen.
Der öffentliche Druck war ungeheuerlich. Mittlerweile waren 20 Ãbertragungswagen der verschiedensten Nachrichtensender bei dem Anwesen der Familie von Metzler angekommen. Sie tauchten die Villa in aufdringlich grelles Licht, Reporterschlangen blockierten das Eingangstor, verlangten nach Interviews und zogen eine neugierige Menschentraube an.
Wir mussten zusätzliches Personal aufbringen, um die Familie und ihre Privatsphäre zu schützen.
Jakobs Vater teilte uns in einem Telefonat seine Sorge mit, dass mögliche Mittäter Gäfgens durch den Medienrummel beunruhigt werden und seinem Sohn Leid zufügen könnten. Wir konnten das Medienchaos nicht verhindern, nur das Anwesen abriegeln und gegen zu aufdringliche Journalisten vorgehen.
Infolge der Veröffentlichung kamen viele Hinweise aus der Bevölkerung, ein ganzes Mitarbeiterteam ging ihnen nach. Doch wie so häufig handelte es sich um Fehlalarme: Katzengeschrei wurde mit Kinderweinen verwechselt,
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