Um Leben Und Tod
rauszureden, andere widerstanden länger, aber er hatte immer einen Zugang gefunden, verstanden, was für ein Mensch da vor ihm saÃ.
Gäfgen war für ihn nicht fassbar, wendig, gesichtslos und charakterlos. Wie konnte er ihm näherkommen? Wenn es im Guten nicht funktionierte, blieben ihm noch harte und gemeine Worte, die Demütigung als Mittel der Vernehmung, aber Bernd war sich sicher, dass sich Gäfgen daraufhin noch dichter in seine Schutzschicht einhüllen würde.
Wenigstens hatte Bernd jetzt einen Beweis der aktiven Beteiligung Gäfgens an der Entführung. Er konfrontierte Gäfgen mit den neuen Fakten und hielt ihm vor, als Lügner entlarvt zu sein.
Beflissen erzählte Gäfgen daraufhin, wie er das Geld abgeholt und in seiner Wohnung versteckt hatte. Er machte Angaben zu allem, was die Polizei schon wusste, wie die Einzahlungen bei den Banken, die Urlaubsbuchung und den Autokauf in Aschaffenburg-Goldbach.
»Das wissen wir alles schon, verdammt, sag uns, wo das Kind ist! Wo habt ihr Jakob versteckt? Wenn du uns hilfst, den Jungen zu finden, mindert das deine Strafe, das wird dir hoch angerechnet.« Bernd Mohn versuchte noch einmal, Gäfgen seine Situation klarzumachen, dass er nämlich schon längst bis zum Hals im Dreck steckte, dass er ein Mordverfahren würde auf sich nehmen müssen, sollte Jakob in seinem Versteck sterben. Aber auf jede Frage nach dem Verbleib des Kindes oder nach anderen Tatbeteiligten gab Gäfgen weiterhin ausweichende Antworten. Distanziert zog er sich zurück, wartete ab und überlegte. Am Ende forderte er einen Rechtsanwalt.
Um 20.02 Uhr konnte er den Anwaltsnotdienst anrufen. Ihm wurde versichert, dass noch im Laufe des Abends Rechtsanwalt Zoll ins Polizeipräsidium kommen würde.
Wenige Minuten später traten der Polizeipsychologe Stefan S. und Kriminalhauptkommissar Ãhl in Mohns Dienstraum, in dem die Vernehmung Gäfgens stattfand. Ãhl legte zwei Porträtfotos von Jakob vor den Beschuldigten auf den Tisch, während sich Stefan S. im Hintergrund hielt, um Gäfgen zu beobachten. Dieser ergriff die Fotos und sah sie sich genau an.
Schon vor dem Telefonat mit dem Anwaltsnotdienst hatten Stefan S. und Staatsanwalt Koch zeitweise der Vernehmung beigewohnt. Stefan S. hatte den Eindruck, dass sich Gäfgens Körperhaltung beim Betrachten der Fotos zum ersten Mal kurzzeitig etwas öffnete. Ansonsten zeigte er keine sichtbaren Regungen, wirkte kaltblütig und berechnend. Kein Wort über den Verbleib Jakobs.
Gegen 22 Uhr entschied sich Bernd Mohn für eine neue Strategie. Wenn die Sprache nicht half, dann vielleicht das geschriebene Wort. Auf einem Zettel notierte er drei Fragen:
Befindet sich Jakob alleine irgendwo?
Oder ist er unter Bewachung/Aufsicht?
Oder befindet er sich nicht mehr am Leben?
Gäfgen weigerte sich, darauf zu antworten.
»Du musst diese Fragen nicht beantworten, ich werde mich umdrehen und dir den Stift lassen, kreuze die zutreffende Frage einfach nur an, du kannst dir Zeit lassen. Ich weiÃ, dass es dir schwerfällt, darüber zu sprechen, aber gib uns eine Chance, Jakob zu finden. Ich bitte dich darum.«
Bernd Mohn kehrte Gäfgen den Rücken zu. Er hatte keine andere Idee mehr, er hoffte, er betete, dass Gäfgen dieses Angebot annehmen würde. Er wusste nicht, wie viele zähe Minuten vergangen waren, als er sich wieder umdrehte. Gäfgen hatte die zweite Frage angekreuzt.
»Danke für deine Mithilfe«, sagte Bernd trocken, aber innerlich jubelte er. Jakob lebte, jetzt mussten sie ihn nur noch finden.
Am 30. September um 21.30 Uhr, ungefähr eine halbe Stunde, bevor Gäfgen angekreuzt hatte, dass Jakob unter Beaufsichtigung stünde, berief Polizeiführer Edwin F. eine Besprechung ein. Anwesend waren neben ihm Kriminaloberrat Liebig, Leiter des Abschnittes »Ermittlungen«, Abteilungsdirektor Wolfram Ritter und Polizeipsychologe Stefan S. Es sollte die Frage behandelt werden, wie man Gäfgen veranlassen könnte, Angaben zu machen, die zu Jakobs Versteck führen würden.
Polizeivizepräsident Daschner hatte Edwin F. zuvor in einem Telefongespräch mitgeteilt, dass die Anwendung unmittelbaren Zwanges als Ultima Ratio in Betracht gezogen werden sollte. Edwin F. bat Stefan S. deshalb, die bisherigen Vernehmungsergebnisse darzulegen und zu Daschners Vorschlag Stellung zu nehmen.
»Trotz der strukturierten, ruhigen und
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