Um Leben Und Tod
welche Ãngste Jakob auszuhalten hatte, welches Leid die Eltern und Geschwister durchlebten? Gäfgen war in seiner skrupellosen Reglosigkeit nicht greifbar und wendig wie eine Schlange.
Bei Mohns alternativen Fragen hatte Gäfgen angekreuzt, dass Jakob unter Aufsicht stehe. Mehr könnte er nicht dazu sagen. Hin und wieder jammerte er, er hätte Angst um Marianne, um seine Eltern, dann wieder Schweigen, nichts. Wir zählten die Stunden, die Jakob blieben.
Polizeipsychologe Stefan S. hatte Elena und Franz von Metzler mit Einverständnis ihrer Eltern auf eine Gegenüberstellung mit Gäfgen vorbereitet. Ich bewunderte den Mut der Geschwister, hatte jedoch Angst um sie. Die Verantwortung schien mir für ein 15-jähriges Mädchen und einen 16 Jahre alten Jungen zu groÃ. Wie sollten sie die Schuldgefühle verkraften, wenn sie Gäfgen nicht zum Reden brächten und Jakob deshalb sterben müsste? Sie wären ihr Leben lang damit belastet.
Es war schon nach Mitternacht, als Rechtsanwalt Zoll, der seit einer halben Stunde alleine mit Gäfgen sprach, auf Bernd Mohn zuging und ihm mitteilte, dass dieser zum möglichen Aufenthaltsort Jakobs Angaben machen wolle.
Rechtsanwalt Zoll begleitete Bernd und war während des weiteren Verhörs anwesend. Gäfgen bestätigte noch einmal, dass Jakob am Leben sei und am Langener Waldsee in einer Hütte bewacht werde. Diese liege auf einer leicht ansteigenden Wiese ungefähr zehn Meter vom See entfernt. Als Bernd auf einer Landkarte sehen wollte, wo genau die Hütte lag, konnte Gäfgen sie nicht ausmachen. Er beschrieb sie grob â sie habe zwei Räume mit Stromanschluss, ein Satteldach und Klapp-Fensterläden â, ohne darüber hinaus konkrete Einzelheiten zu nennen. Sie sei ein Wochenenddomizil.
Nach weiterer intensiver Befragung sagte Gäfgen um 0.45 Uhr schlieÃlich aus, dass die Brüder Richard und Wilhelm B. [Namen geändert] das Kind abgeholt hätten und es in der Hütte bewachen würden. Zahlungen aus dem Lösegeld an die Brüder seien »noch nicht geleistet« worden. Danach war Gäfgen nicht mehr bereit, zusätzliche Angaben zu machen, und wurde gegen 1.30 Uhr in seine Zelle im Polizeipräsidium gebracht, wo er sofort einschlief.
Daraufhin zog sich auch Bernd Mohn zurück, bis 4.00 Uhr verrichtete er noch liegengebliebene, aber zeitlich nicht länger aufschiebbare Büroarbeiten, bevor er sich verabschiedete. Bernd wollte morgens gegen 8.00 Uhr zurück sein und die Befragung fortführen.
Stefan S. wurde nach der Aussage Gäfgens völlig übermüdet und erschöpft nach Hause gefahren. Mit eisernem Willen hatte er drei Tage und Nächte ohne Pause durchgearbeitet, in der Hoffnung, dazu beizutragen, Jakob lebend zu finden. Noch im Weggehen bezeichnete er die neuen Informationen Gäfgens als »Blödsinn«, als eine weitere Ablenkungsstrategie, um Zeit zu gewinnen.
Die Metzlerkinder, die im Polizeipräsidium auf die Gegenüberstellung gewartet hatten, wurden gegen 2.00 Uhr nachts nach Hause begleitet. Ihre Konfrontation mit Gäfgen wurde nach seinen neuen Aussagen zurückgestellt.
Etwa um dieselbe Uhrzeit wurde Marianne K. von der Polizei zu ihren Eltern gebracht. Es ging ihr etwas besser, aber sie war sehr niedergeschlagen und von der Nachricht, dass ihr Freund an einer Entführung beteiligt war, tief bestürzt. Marianne hatte nicht einen Moment den Eindruck gehabt, dass sich Magnus anders als sonst benähme, gedankenverloren, bedrückt oder aufgeregt gewesen wäre. »Er war wie immer.«
Wir waren hin und her gerissen bei dem Gedanken, ob die Angaben Gäfgens zuträfen oder nicht. Stefan S. glaubte ihm nicht. Aber die Aussage war im Beisein seines Anwalts gemacht worden, und Gäfgen beschuldigte zwei mutmaÃliche Mittäter namentlich. Das bestärkte unsere Hoffnung, dass Jakob noch lebte. Wir mussten ihn finden, es war vielleicht seine letzte Chance.
Wir kümmerten uns sofort um die DurchsuchungsmaÃnahmen am Langener Waldsee und die Festnahmen der beiden Brüder. Da Gäfgen nicht angeben wollte oder konnte, wo genau sich die Hütte befand, musste also das gesamte Gebiet rund um den See durchkämmt werden. Sollten sich Gäfgens angebliche Mittäter bei Jakob befinden, waren ihre Reaktionen schlecht kalkulierbar.
Um das Leben des Kindes zu schützen, wurden um 3.00 Uhr früh erst einmal ausgesuchte
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