Um Leben Und Tod
Foltermärchen mutieren konnte, zu einer Strafvereitelungsstrategie für einen Mörder wurde, und die Staatsanwaltschaft dabei nicht nur hilflos zuschaute, sondern dem Ganzen auch noch Vorschub leistete.
Während das Tatopfer Jakob in Vergessenheit rückt. Wieder geht es nur um Gäfgen, der im Mittelpunkt stehen will. Nach Ansicht des Kriminologen Francesco Sidoti scheint dieses Phänomen fast allen Mördern gemeinsam zu sein, dass sie rezitieren »wie verbrauchte Schauspieler, den Zuhörer zu manipulieren versuchen und sich um jeden Preis als Zentrum der Welt fühlen wollen«.
Erst war er das Opfer seiner Eltern, die zu sparsam waren, aber die 30 000 DM seines Vaters zu seinem 18. Geburtstag in Form eines Rentenfonds hat er eingesteckt und sich auch bis zuletzt monatlich Unterhalt von seinen Eltern zahlen lassen. Dann war er das Opfer von Marianne K. [Name geändert], die â wie er behauptete â so hohe Ansprüche hatte. Auch diese Lüge hat Rechtsanwalt Kempf schonungslos bloÃgelegt. »Das stimmt nicht; er war es, der seinen Willen durchgesetzt hat; er hat Marianne K. nur in der Illusion gelassen, sie würde entscheiden. Er hat die Abmessungen des Käfigs bestimmt, in dem sie sich frei bewegen konnte.«
Jetzt ist er ein Folteropfer, er, der nette Mann, der nicht mehr schlafen kann, weil er so gefoltert wurde â und nicht, weil er ein Kind getötet hat und ihm bei seinem Ersticken in die Augen gesehen hat.
Er selbst beschreibt jedoch in seinem Buch auf Seite 115: »⦠vor mir sah ich stets, am Tage und in der Nacht in all meinen Träumen, die Bilder meines Opfers und die letzten Minuten.«
Das sind fast die Worte, die ich in meinem Verhör gewählt hatte, um ihm Jakobs Flehen um Hilfe nahezubringen; sie haben ihn also beeindruckt. Jetzt behauptet er aber, dass ihn die Angst vor der »Folterdrohung« nicht mehr schlafen lasse.
Zwei Fragen lassen mich nicht in Ruhe.
Warum glaubt man dem notorischen Lügner Gäfgen, wie unser Zusammentreffen abgelaufen ist, und nicht mir?
Und warum glaubt man, die Anwendung unmittelbaren Zwanges als Einzelfalllösung würde deutsche Polizisten zu Folterknechten machen?
Die Verfahren, die Gäfgen nach seiner Verurteilung bisher angestrebt hat:
1. Revisionsverfahren
âDas Verfahren vor dem Bundesgerichtshof wurde am 21. Mai 2004 verworfen.
âDie Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht wurde am 14. Dezember 2004 nicht angenommen.
2. Amtshaftungsverfahren
âGäfgen stellte am 28. Dezember 2005 einen Antrag auf Prozesskostenhilfe. Er stützte den Antrag auf die Behauptung, er sei durch die gegen ihn angewendeten polizeilichen ErmittlungsmaÃnahmen, u. a. die angebliche Androhung von Schmerzen, wenn er den Aufenthaltsort nicht preisgebe, und weiteren Androhungen von sexuellem Missbrauch und Schlägen traumatisiert worden, und er bedürfe psychologischer Behandlung.
âDer Antrag auf Prozesskostenhilfe wurde beim Landgericht Frankfurt gestellt. Es ging um Prozesskostenhilfe wegen eines Schmerzensgeld- und Schadensersatzanspruches aus der angeblich erlittenen Folter. Landgericht und Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt wiesen den Antrag auf Prozesskostenhilfe mangels hinreichender Erfolgsaussicht ab.
âDas Bundesverfassungsgericht entschied mit Beschluss vom 19. Februar 2008, AZ: 1 BvR 1807/07, dass hinreichende Erfolgsaussicht im Hinblick auf die Klärung schwieriger, bislang ungeklärter Rechtsfragen im Hauptverfahren nicht versagt werden könne.
âNachdem die Prozesskostenhilfe gewährt war, reichte Gäfgen daraufhin noch im Jahre 2008 Klage beim Landgericht Frankfurt ein, die derzeit noch anhängig ist.
3. Das Verfahren beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
âAm 15. Juni 2005 legte Gäfgen Individualbeschwerde nach Art. 34 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten beim EGMR ein. Die Individualbeschwerde richtet sich gegen die Bundesrepublik Deutschland.
Ziel der Individualbeschwerde ist, dass der EGMR feststellen soll, dass Gäfgen in seinem durch Art. 6 der Konvention garantierten Recht auf ein faires Verfahren, das sein Recht auf Selbstbelastungsfreiheit und sein Recht auf wirksame Verteidigung einschlieÃe, verletzt worden sei, weil Beweismittel, die von den Behörden nur aufgrund des von ihm erpressten Geständnisses hätten sichergestellt werden können, in dem gegen
Weitere Kostenlose Bücher