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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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Leben, das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das Recht auf Freiheit.
    Weitere Erklärungen würden jetzt zu weit führen und Laien auch unverständlich erscheinen. Wenden wir das, was wir wissen, auf unseren Sachverhalt an.
    Der »Akt des bewertenden Erkennens« blieb den Anhängern des Rechtspositivismus, die sich zu unserem Fall lautstark zu Wort gemeldet hatten und auf deren Seite sich Vertreter namhafter Menschenrechtsorganisationen schlugen, offenbar verborgen. Sie vertraten ein formales Verständnis von Recht, das von der Moral getrennt ist, und lehnten jede Ausnahme ab. Für sie reichte es aus, wenn ein Gesetz in dem dafür vorgesehenen Verfahren zustande gekommen war; sie verlangten Gehorsam gegenüber dem Gesetz, unabhängig davon, ob es gerecht oder ungerecht ist.
    Die Rechtspositivisten hielten jeden Eingriff in die körperliche Unversehrtheit des Kindesentführers und -mörders Magnus Gäfgen für absolut ausgeschlossen.
    Sie sahen durch den konkreten Einzelfall das Folterverbot insgesamt in Gefahr und verkannten dabei, dass dieses Verbot in erster Linie eingeführt wurde, um Diktatoren und Unrechtssysteme davon abzuhalten, missliebige Gegner in Scheinprozessen zu Geständnissen zu zwingen, in deren Folge die Todesstrafe oder langjährige Zwangsarbeit verhängt werden konnte.
    Dabei hielten sie auch den möglichen Tod eines oder mehrerer Menschen durch die Hand eines Verbrechers oder durch Terroristen für hinnehmbar; von einem Volk, das sich international zur Ächtung der Folter verpflichtet habe, müsse diese Folge in Kauf genommen werden, die Opfer sind dabei ohne Bedeutung.
    Diese positivistische Denkart bedeutet, dass Gesetze und Normen, die aufgrund durchaus berechtigter Anliegen aufgestellt wurden, in Unrecht verkehrt werden können, wenn die Lage des Einzelfalles nicht berücksichtigt wird.
    Â» Summum ius, summa iniuria « – das höchste Recht ist höchste Ungerechtigkeit. Dabei hatte bereits Gustav Radbruch erkannt, dass der Widerspruch eines positiven Gesetzes zur Gerechtigkeit ein so unerträgliches Ausmaß erreichen kann, dass das Gesetz als »unrichtiges Recht« der Gerechtigkeit zu weichen habe.
    Für die Rechtspositivisten war die Ankündigung unmittelbaren Zwanges zur Lebensrettung eines entführten und misshandelten Kindes kritiklos gleichbedeutend mit »Folter«.
    Das »Fundament von Moral und Recht« hatte nur Gültigkeit für den Verbrecher, nicht für sein Opfer. Nur wenn der Rechtsstaat im Kampf gegen die Feinde der Freiheit konsequent seinen eigenen menschenrechtlichen Freiheitsprinzipien treu bleibe, wahre er seine Glaubwürdigkeit, die wiederum die Voraussetzung dafür bilde, dass er das Vertrauen der Menschen gewinnen könne: »Dieses Vertrauen aber erweist sich auf lange Sicht als die wichtigste Stütze im Kampf gegen den Terrorismus.« (Heiner Bielefeldt, Das Folterverbot im Rechtsstaat ).
    Und Arthur Kreuzer, Rechtsprofessor aus Gießen, brachte es in seinem Aufsatz auf den Punkt: Das Folterverbot (für den Täter) gelte absolut, der Lebensschutz (für das Opfer) nicht: »Menschenwürde lässt sich nicht für Lebensschutz schmälern.« ( Zur Not ein bisschen Folter? )
    Für den Rechtsstaat sei das Recht der höchste Wert, nicht die Wahrheit, nicht die Sicherheit, auch nicht das Leben, meinte der Rechtshistoriker Wolfgang Schild, sich zur Begründung häufig selbst zitierend; es bleibe daher eine Missachtung der Würde des Verbrechers, »selbst wenn dadurch eine Gefahr abgewendet oder sogar ein Mensch aus Lebensgefahr gerettet werden könnte« ( Folter einst und jetzt ).
    Im Gegensatz dazu standen diejenigen Rechtskundigen, die neben den kodifizierten und nichtkodifizierten Rechtsnormen auch Aspekte der Ethik und Moral als wichtig ansehen. Als Anhänger des Naturrechts, das heißt der »von Natur aus« unveräußerlichen Rechte eines Menschen, sahen sie die Gerechtigkeit in einer Rechtslehre, die dem positiven Recht vorgeht und ihm übergeordnet ist: Sie argumentieren, eine humanitäre Intervention sei gerechtfertigt, da aufgrund des Naturrechts eine generelle Pflicht bestehe, anderen Menschen zu helfen, auch wenn dies im Sinne des positiven Rechts rechtswidrig sei. In diese Richtung verliefen die Veröffentlichungen von zwölf namhaften Juristen zu unserem Verfahren, die am 27. November 2003 der

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