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Um Leben Und Tod

Um Leben Und Tod

Titel: Um Leben Und Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Hoehn , Ortwin Ennigkeit
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wehgetan? Ihn verletzt? Kann er sich bewegen? Hat er genug Luft?‹ Ich wiederholte dies ständig und sehr eindringlich, weil es mir um das Leben des Kindes ging. Es dauerte nur wenige Minuten, bis er sagte, dass die Leiche Jakobs unter einem Steg an einem kleinen See im Vogelsberg liege.«
    Diese Aussage entsprach Wort für Wort der Wahrheit. Ich hatte bewusst einen größeren Abstand zu Gäfgen gehalten, weil mir seine Nähe außerordentlich unangenehm war. Zu keinem Zeitpunkt habe ich ihn berührt, oder ihn gar vor die Brust gestoßen, ich habe ihn weder angeschrien noch damit gedroht, dass er zusammen mit Farbigen eingesperrt werden könnte (darauf hätte ich ohnehin keinerlei Einfluss gehabt). Ich hatte den Auftrag des Polizeivizepräsidenten auch nicht dahingehend verstanden, dass ich die angedachten oder geplanten Maßnahmen bereits konkret androhen sollte. Dies wäre aus meiner Sicht auch lächerlich gewesen, weil ich Gäfgen eindeutig gesagt hatte, dass ich ihm nichts tun würde, er hätte daher mit seiner Aussage Zeit gehabt, bis die Drohung konkret ausgesprochen oder gar umgesetzt worden wäre.
    Am Nachmittag des ersten Prozesstages wurde mein Kollege Bernd Mohn als Zeuge vernommen. Seine Aussage war sachlich und entsprach dem tatsächlichen Geschehensablauf in der Nacht zum 1. Oktober 2002. Aber offensichtlich war sie für Staatsanwalt Möllers nicht belastend genug – er unterbrach den Zeugen wiederholt und musste deshalb von der Vorsitzenden Richterin »ernsthaft ermahnt« werden.
    Wegen der randalierenden Horden vor Daschners Haus wurde beschlossen, unsere Wohnungen mit Schutzmaßnahmen zu bedenken. Es fuhren in unregelmäßigem Abstand Streifenwagen vorbei.
    Daschner hatte schon Morddrohungen erhalten. Da ich in der Presse namentlich seltener genannt wurde als Daschner, richtete sich der Zorn einiger Extremisten vor allem gegen ihn. Ich persönlich hatte deshalb keine Angst vor Übergriffen. Ich lebte in einem kleinen Dorf. Hier passierte nichts, Streifenwagen sah man nur selten. Ich erwartete eher, dass jemand aus dem Dorf – darauf vertrauend, dass sich bei uns nie die Polizei blicken lässt – betrunken Auto fahren und Ärger bekommen könnte.
    An den Verhandlungstagen trafen wir uns jeden Morgen in den Räumen der Behördenleitung des Polizeipräsidiums. Von dort aus wurden wir mit einem Zivilfahrzeug ins Gerichtsgebäude gebracht. Meistens fuhr Rechtsanwalt Steinke, der zweite Anwalt Daschners und ehemaliger Abteilungspräsident des Bundeskriminalamtes, mit uns. Vor der Einfahrt zur Tiefgarage des Gerichtsgebäudes lauerten jedes Mal Reporter und versuchten, Schnappschüsse von uns zu machen. Von der Garage gingen wir über ein Treppenhaus in einen kleinen, fensterlosen Raum. Er war nur spärlich möbliert: ein großer, langer Besprechungstisch, Stühle, ein Sideboard mit einem Telefon darauf. Hier trafen wir uns mit unseren Anwälten Hild und Simon. Von diesem Raum aus gelangten wir direkt in den Gerichtssaal. In den Verhandlungspausen oder zu Besprechungen mit unseren Anwälten zogen wir uns wieder in dieses Zimmer zurück.
    Meistens waren wir schweigsam und grübelten vor uns hin. Manchmal verloren wir ein paar Worte über Zeitungsberichte. Daschner war immer sehr informiert und brachte ab und an Artikel aus Blättern mit, deren Existenz ich gar nicht kannte. So schrieb D. Soika im Leitartikel der Freien Presse Chemnitz am 20. November 2004 unter anderem:
    Â»â€¦ Das sogenannte ›Luftsicherheitsgesetz‹ räumt dem Verteidigungsminister das Recht ein, den Abschuss eines Passagierflugzeuges anzuordnen; wenn nämlich Flugzeugentführer damit drohen, die Maschine als Waffe einzusetzen und abstürzen zu lassen. Der Tod Hunderter unschuldiger Menschen soll bewusst in Kauf genommen werden, wenn man damit eine möglicherweise noch größere Bedrohung abwenden kann. Eine ähnlich schwerwiegende Güterabwägung gibt es im Fall des ›finalen Rettungsschusses‹. Die Polizei darf danach einen Täter gezielt erschießen, wenn nur auf diese Weise beispielsweise eine Geisel gerettet werden kann … Der Staat lässt Menschen töten, um Schlimmeres verhindern zu können. Er lässt unschuldige Opfer töten und er lässt Täter töten … Der Staat wägt Leben gegen Leben ab. Die Würde des einen Menschen ist ihm mehr wert als

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