Um Leben Und Tod
zu Moral und Menschlichkeit.
»Wenn Recht und Moral auch zwei verschiedene Dinge sind, so kann ein Recht, das diesen Namen verdienen will, gleichwohl nicht in beliebigem MaÃe gegen Moral und Menschlichkeit agieren. Wie weit muss sich die Rechtsordnung aber von Moral und Menschlichkeit entfernen, um einen Menschen bei Strafandrohung zu verpflichten, das Leben eines anderen Menschen, der sich durch ein Verbrechen unter entsetzlichen Qualen in hilfloser Lage befindet, gegebenenfalls wie einen Bilanzposten abzuschreiben, damit dem Entführer keine Schmerzen zugefügt, ja nicht einmal angedroht werden?«
Am selben Tag hielt Staatsanwalt Wilhelm Möllers sein Plädoyer. Er sah es als erwiesen an, dass ich dem Entführer und Mörder Magnus Gäfgen »massive Schmerzen« angedroht hätte, und Daschner habe mich zu dieser »schweren Nötigung« verleitet. Er sah dies zwar nicht als Folter an, aber als erniedrigende und verbotene Handlung, Gäfgen sei uns ausgeliefert gewesen, aber »dieser Gäfgen gehörte auch mir«. Wir hätten seine Menschenwürde-Garantie verletzt, gegen einen Verfassungshöchstwert verstoÃen, ihn als Objekt behandelt, um Wissen aus ihm herauszupressen; zum »philosophisch-ethisch-moralischen Bereich« wollte er nichts sagen, auch das Thema der Menschenwürde des entführten (und ermordeten) Kindes wurde nicht angesprochen. Eine Verurteilung sei dringend notwendig, um weitere derartige Vorfälle zu verhindern, meinte er.
»Jede staatliche Reaktion muss von geltendem Recht bestimmt sein. Gewissensgründe haben hier nur eine eingeschränkte Bedeutung.«
Der Polizeivizepräsident habe sich auch nicht in einer Ausnahmesituation befunden: »Der Fall Jakob von Metzler ist leider ein nicht untypisches Gewaltverbrechen«, so Möllers; im Ãbrigen sei es damals ȟberwiegend unwahrscheinlich« gewesen, dass Jakob noch gelebt habe. AuÃerdem habe es Alternativen gegeben, die von führenden Polizisten und dem Polizeipsychologen vorgeschlagen worden seien, beispielsweise die Konfrontation mit Jakobs Familie. Dann sprach Möllers plötzlich von »massiven Milderungsumständen«, das Motiv der Lebensrettung zeige eine »ehrenvolle Gesinnung«: »Hier sitzen keine Berufskriminellen« (zu denen er selbst uns durch den Vorwurf des Verbrechens der Aussageerpressung abgestempelt hatte).
Weitere massive Milderungsgründe seien die fehlende Wiederholungsgefahr und unser Beitrag zur Tataufklärung. Insbesondere Daschner sei schon gestraft genug, nicht zuletzt durch die Berichterstattung, eine Geldstrafe sei daher ausreichend. Aber ein Schuldspruch müsse sein. Wir, die Angeklagten, hätten einen »Dammbruch« begangen, die »Tür zu einem verbotenen, dunklen Raum einen Spaltbreit geöffnet«, diese Tür müsse nun wieder geschlossen werden â Möllers hatte wohl vergessen, dass in diesem dunklen Raum ein gequältes, verängstigtes, sterbendes Kind war, das wir durch diesen Spalt hatten befreien wollen.
Er verlangte für uns beide Geldstrafen von je 180 Tagessätzen, die über zwei Jahre zur Bewährung ausgesetzt werden könnten. Als Bewährungsauflage regte er GeldbuÃen von 10 000 Euro für Daschner und 5000 Euro für mich an, die an eine gemeinnützige Einrichtung gehen sollten.
Am Donnerstag, dem 16. Dezember 2004, plädierten unsere Verteidiger auf Freispruch. Polizeivizepräsident Daschner habe in einer verzweifelten Situation die Menschenwürde eines Mörders gegen die Menschenwürde eines unschuldigen Kindes abwägen müssen, sagte Hild. Gäfgens Recht auf körperliche Unversehrtheit sei nur theoretisch und in Teilen bedroht gewesen. Mit jeder anderen Entscheidung hätte sich Daschner wegen Tötung durch Unterlassen strafbar gemacht.
Gäfgen habe sich mit seiner »narzisstischen Grundhaltung« in eine Opferrolle geflüchtet, um sich seiner schrecklichen Tat zu entziehen. »Es wird ihm hoffentlich nicht gelingen.« Hild appellierte an die Richter: »Lassen Sie nicht zu, dass die Menschenwürde Jakob von Metzlers und seiner Familie weiter angetastet wird durch die durchsichtige Strategie eines Mörders, aus einem Fall Gäfgen einen Fall Daschner zu machen.«
Und Daschners zweiter Verteidiger Dr. Steinke ergänzte, dass durch die Entführung eines Menschen eine Notwehrlage geschaffen werde und dass es nach
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