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Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Um Mitternacht am schwarzen Fluß

Titel: Um Mitternacht am schwarzen Fluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefan Wolf
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belatschern, daß sie ohne
mich abrauscht.“
    Jan schüttelte den Kopf. „Laß dir die
Spritze verpassen. Sonst sind deine Eltern verärgert.“
    Tanja zog eine Schnute. Daß ihr Freund
ins gleiche Horn stieß, paßte ihr nicht. Wieso war er plötzlich derselben
Meinung wie ihre Eltern? Erst 16 — und schon so eklig vernünftig. Konnte man
mit 16 bereits zum alten Eisen gehören?
    Aber als er jetzt den Arm um sie legte,
lächelte sie.
    „Ich bin bestimmt schnell zurück.“
    „Habt ihr Oskar nicht mit?“ fragte Tim.
    „Aber ja“, meinte Gaby. „Er ist vorn
beim Eingang angebunden. Jans Onkel meint, das sei besser. Weil der Wald
ringsum voller Wild ist. Das kommt bis in die Nähe des Hotels. Und wenn unser
Vierbeiner eine Fährte aufnimmt, können wir ihn um Mitternacht zurück erwarten.“
    Jan sagte, daß er fürs Grillen den
Platz in der Schilfecke vorgesehen habe. Alles sei schon bereit.
    „Ich komme gar nicht erst mit“, meinte
Tanja. „Sonst kriege ich Appetit. Und was erwartet mich? Eine Tetanus-Spritze.
Jedenfalls als Vorspeise.“
    „Ich würde dir ja gern eine Tafel
Schokolade mitgeben“, meinte Klößchen. „Aber ich habe keine. Deshalb geht’s
nicht.“
    Wie spendabel er tut, dachte Tim. Wäre
er schokoladig versorgt, käme kein Wort über seine Lippen. Aber so genau kennt
Tanja ihn nicht.
    Sie sockten los. Tanja wollte am
Eingang auf Frau Eckert warten, die jeden Moment eintreffen mußte.
    Die Schilfecke — das war auf der
anderen Seite des Hauses, etwas oberhalb des Sees. Der Schilfgürtel reichte bis
dorthin, wurde nur vom Rundweg durchschnitten und war Brutstätte zahlreicher
Wasservögel.
    Tim hatte Gaby umärmelt. Sie wollten an
der langen Glasveranda vorbei. Aber Gaby stockte der Fuß.
    Verstört sah sie zum Eingang.
    Tim begriff sofort, was seine Freundin
so plötzlich aus dem Gleichgewicht brachte.
    In die Hauswand neben dem Eingang war
ein Haken eingelassen. An ihm hing eine Hundeleine. Oskars Leine. Aber das
freie Ende mit dem Karabinerhaken lag auf dem Boden. Der treue Vierbeiner war
verschwunden.
    Gabys Kopf ruckte seewärts.
    Auch Tims Blick suchte das Ufer ab und
die Wasserfläche. Wildgänse strichen über den See und landeten, was ein
lustiger Anblick war, denn sie benutzten die Schwimmhäute ihrer Füße wie Surfer
ihr Board (Surfbrett).
    Von Oskar keine Spur.
    „Wo ist er?“ sagte Gaby. „Sieh doch!
Aus dem Halsband kann er nicht geschlüpft sein. Es ist nicht da. Das hat er
noch um.“
    Sie liefen zum Eingang. Gaby machte die
Leine los. Die andern kamen heran. Sorge stand in allen Gesichtern.
    Tim untersuchte den Karabinerhaken.
    „Der ist in Ordnung. Und so schlau
Oskar ist: Sich selbst losmachen — das kann er noch nicht. Jemand hat’s getan.“
    Er sprach nicht aus, auf wen sein
Verdacht fiel. Aber Klößchen hielt es für notwendig, das deutlich zu machen.
    „Dieser Muhson war’s“, meinte er. „Aus
Rache.“
    Tim wandte sich an Gaby. „Hat der Kerl
mitgekriegt, daß Oskar zu uns gehört?“
    Sie nickte. „Als die Muhsons eben
zurückkamen, waren wir mit Oskar am Empfang.“
    Ihr Blick begann umherzuhetzen. Seit
sie wußte, wie verführerisch hier der Wildbestand war, hatte sie ihren
Schnüffeltiger nicht mehr von der Leine gelassen.
    „Muhson nehmen wir uns später vor“,
sagte Tim. „Jetzt suchen wir Oskar. Ab in den Wald! Wir schwärmen aus. Meistens
reagiert er auf zwei kurze Pfiffe. Und auf seinen Namen. Und, Gott sei Dank!
ist er nicht bockbeinig, wenn man in seine Nähe kommt und ihn ruft. Dann läßt
er ab von der Bärenfährte. Tschüs, Tanja! Bis nachher.“
    Sie blieb zurück.
    Die fünf stürmten los.
    Hinter dem Hotel, waldseitig, teilte
Tim die Richtungen ein. Er nahm die ganz links, weil sie am schwierigsten
aussah.
    Dreißig Meter neben ihm schloß Gaby
sich an. Dann kamen Jan, Klößchen und Karl.
    Sie drangen ein in den Wald, und bald
ertönten unter den Bäumen die ersten Rufe und Pfiffe.

7. Tanjas Entdeckung
     
    Mist! dachte Tanja. Sie fühlte sich,
als hätte sie was verbrochen. Die andern suchten nach Oskar; und sie hing hier
rum und wartete auf die Eckert.
    Alles wegen der blöden Tetanus-Spritze.
Nein! Sie mußte hierbleiben und mitsuchen. Die Spritze würde sicherlich auch
morgen noch wirken — falls sie überhaupt notwendig war und nicht nur eine
Vorschrift elterlicher Überängstlichkeit.
    In diesem Moment sah sie den weißen
Firmenwagen mit der goldfarbenen LEIHMEIER-Reklameaufschrift.
    Tanja löste sich von der Hauswand

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