Um Mitternacht am schwarzen Fluß
verblüfft. Dann sah er die Angst in Tanjas
Gesicht und wußte Bescheid.
Sie warf sich herum. Wie gelähmt fühlte
sie sich. Aber sie mußte fliehen.
„Laß sie nicht durch“, brüllte Carlo
hinter ihr — und kam mit Riesensätzen über den Steg. „Sie hat die Waffen
gesehen.“
Erst jetzt begriff sie, daß ihr der
Rückweg abgeschnitten war.
Aus dem VW-Golf kletterte ein plumper
Typ: rosiges Gesicht, blonde Borsten. Er rannte auf sie zu — mit ausgebreiteten
Armen.
Sie versuchte, zur Seite auszuweichen,
strauchelte aber im hohen Gras. Schon während sie stürzte, spürte sie seine
Hand an der Schulter. Sie wollte sich wegwälzen. Aber er fing sie ein wie ein
Huhn auf dem Hühnerhof.
Zappelnd wand sie sich in der
Umklammerung seiner Arme. Wie derb der sie packte! Außerdem roch er nach
Schweiß.
„Loslassen!“ kreischte sie. „Hiiilfe!
Zu Hiii...“
Ganz falsch war das. Während er sie mit
einem Arm umschlang, preßte er ihr die Hand auf den Mund.
Das tat weh. Außerdem wurde ihr übel.
„In die Mühle mit ihr!“ sagte Carlo und
packte sie an den Knöcheln.
Sie versuchte zu strampeln.
„Laß das!“ befahl der Borstenkopf. „Oder
sollen wir dich bewußtlos schlagen?“
Sie erschlaffte. Keine Gegenwehr. Mein
Gott! Bringen die mich jetzt um? Weil ich ihr Versteck kenne, ihr Geheimnis,
das Waffenlager.
Der Borstenkopf hatte die Hand von
ihrem Mund genommen und hielt sie unter den Schultern.
„Verdammt noch mal!“ keuchte er. „Wie
konnte das passieren?“
„Keine Ahnung. Sie stand plötzlich auf
dem Steg. Weiß nicht, woher die kommt.“
Tanja schloß die Augen. Aber sie merkte
es, als sie in der Mühle waren. Schatten statt Sonne. Die Luft roch nach trocknem
Holz und nach Staub. Und noch ein Geruch war da: wie von Öl und Metall.
„Warum tragen wir sie eigentlich?“
meinte Carlo und ließ ihre Knöchel los.
Tanjas Füße schlugen auf die Dielen.
Sie wurde von Werdy auf eine der Kisten gesetzt und öffnete die Augen.
Ängstlich sah sie die beiden an.
Werdy stemmte die Fäuste in die Seiten.
Ärger überzog sein Gesicht.
„Wie heißt du?“ fragte er.
„Tanja... Tanja Leihmeier.“ Ihre Stimme
zitterte etwas.
„Was suchst du hier?“
„Ich... ich gehe spazieren.“
„Was?“
Sie überlegte fieberhaft. Welche
Antwort war klug?
„Ja, spazieren. Ich... wandere immer
soweit. Ich will zum Seehotel.“
„Warum wolltest du wegrennen?“
„Ich... war erschrocken. Ich hatte
nicht damit gerechnet, daß jemand in der Mühle ist.“
Werdy saugte die Oberlippe zwischen die
Zähne. Im Moment wußte er nicht weiter. Diese Göre brachte den ganzen Plan
durcheinander. Offenbar hatte der Chef sich geirrt. So gemieden, wie er
glaubte, war die Mordmühle nicht.
Verdammt! Draußen im Golf lagen zwei
Schlafsäcke, Fressalien und was sie ansonsten noch brauchten, um hier bis
Dienstagabend auf Einsiedler zu machen.
Sein blasser Blick glitt über Tanja.
Hatte er die schon mal gesehen?
„Bist du aus der Stadt?“ fragte er.
Sie nickte. „Und Sie... sind...
Terroristen, ja? Ich gebe Ihnen mein Ehrenwort, daß ich Sie nicht verrate.“
„Was?“ fragte er verblüfft.
Carlo begann zu lachen.
„Nein, Täubchen“, jetzt grinste auch
Werdy. „Terroristen sind wir nicht. Aber daß du uns hier über den Weg läufst,
ist trotzdem dein Pech. Leider müssen wir verhindern, daß du’s irgendwem
erzählst. Dein Ehrenwort in Ehren. Aber als Garantie genügt das nicht. Deshalb
werden wir dir jetzt die Vorder- und Hinterhufe zusammenbinden, und einen
Knebel kriegst du auch. Im übrigen ist es am besten für dich, wenn du dich
fügst und kein Geschrei machst. Dann geschieht dir nichts.“
Sie begann zu schluchzen, als sie
gefesselt wurde. Der Knebel blieb ihr erspart. Zum einen, weil sich kein
geeignetes Tuch fand, zum andern, weil niemand sie hören konnte.
Neben dem Mühlstein mußte sie sich auf
den Boden hocken. Sie war so erschöpft, daß ihr der Kopf auf die Brust sank.
Sie schlief nicht. Aber Benommenheit legte eine schützende Hülle um ihr Gemüt.
Werdy und Carlo gingen hinaus.
„Elender Mist. Jetzt können wir uns
nach einem neuen Versteck umsehen“, meinte Werdy.
„Ich rühre keinen Finger“, sagte Carlo
durch die Zähne. „Kannst dem Chef ausrichten, daß er seine Kisten allein
schleppen soll, wenn sie ihm hier nicht mehr sicher sind.“
„Das werde ich ihm bestimmt nicht
sagen.“
Immerhin, dachte Werdy, ist damit schon
geregelt, daß ich jetzt zum Seehotel heize.
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