Umarme mich, aber rühr mich nicht an - Die Körpersprache der Beziehungen. Von Nähe und Distanz
ein unaufhaltsamer Drang aufzuräumen zu verspüren
ist. Bedürfnisse entstehen selbstverständlich auf beiden Seiten. Worauf es aber ankommt, ist, dass der andere die Signale versteht und bereit ist, darauf zu reagieren. Denn der Wunsch, sich von Zeit zu Zeit in sich selbst zurückzuziehen, entspringt einem ganz normalen und dabei fundamentalen Bedürfnis, das niemanden verletzen will. Die Signale des Partners einfach zu akzeptieren, sie nicht als persönliche Verletzung zu nehmen, hilft beiden Seiten. Pubertierende Jugendliche suchen häufig Distanz zur realen Welt, indem sie sich bei lauter, alles andere übertönender Musik in ihrem Zimmer einschließen, denn sie fühlen sich in der Veränderung ihrer Hormone und ihres ganzen Körpers von niemandem verstanden. Auch sie erwartet dann hoffentlich das Verständnis ihrer Umwelt.
Es ist ein schwer zu durchbrechendes Ritual: Verlangt es den einen phasenweise nach einer gewissen Distanz, um mit sich selber ins Reine zu kommen, empfindet es der andere als Abwendung und fühlt sich verraten. Beide empfinden die Situation natürlich von ihrem subjektiven Standpunkt und aus ihrer jeweils subjektiven Erfahrung.
Genauso spielt es sich zwischen Kindern und Eltern ab. Wann jemand das Bedürfnis nach Nähe hat und wann nach Distanz, richtet sich nach dem jeweils subjektiven Gefühl. Das heißt aber, dass selbstverständlich auch Kinder die Distanz spüren, die Eltern oder ein Elternteil von ihnen suchen. Leider sehen viele Erwachsene die Wichtigkeit eines Geschehens nur aus ihrer eigenen Perspektive und nicht mit den Augen der Kinder. Sie nehmen die Bedürfnisse ihrer Kinder nicht richtig ernst und wenden sich schnell wieder ihrer so viel wichtigeren Beschäftigung zu. Ist ihnen nicht klar, dass jedes Kind diese Haltung als Liebesentzug empfinden muss? Es war ihm doch so wichtig, was es mitzuteilen hatte!
Die sich aus alledem ergebende Fragestellung bleibt über unser ganzes Leben hin relevant: Wie weit binde ich mich an einen anderen Menschen? Kann ich mein eigenes Ich trotzdem bewahren? Wird meine Selbstständigkeit in der Verbindung respektiert? Und toleriere ich den Anspruch des Partners auf Selbstständigkeit? Lerne ich es zu ertragen, dass auch er Distanz zu mir benötigt, um zu sich selbst zu kommen, sich mit sich selbst zu beschäftigen, sich zu regenerieren, sich zu entwickeln und zu entfalten?
Kinder erleben alles als neu und dadurch viel emotionaler als Erwachsene und sind daher auch viel aktiver als wir. Denn Emotionen schaffen Bewegung, schaffen Veränderungen in unserem Organismus. Alles, was
wir emotional erleben, wird zur lebendigen, unvergesslichen Erfahrung. Dabei ist alles von Wichtigkeit, weil es intensiv in uns erweckt wurde. Bei Erwachsenen, die so vieles schon kennen oder zu kennen glauben, wird nicht alles ebenso emotional erlebt werden können. Daraus kann eine entscheidende Diskrepanz entstehen zwischen Eltern und Kindern. Denn was für Kinder ausgesprochen wichtig wird, weil es der inneren Bewegung folgt, mag den Eltern möglicherweise ganz unwichtig vorkommen, weil es sie überhaupt nicht bewegt. Dieser Zwiespalt ist es, der eine Ungleichheit zwischen den Generationen entstehen lässt. Gewohnheit und Alltagsrhythmus erzeugen eine gewisse Ausgeglichenheit, die Platz frei macht für das wirklich Außerordentliche, das in uns stärkere Bewegung schafft. Damit versuchen wir, zwischen Wichtigem und Unwichtigem zu unterscheiden. Doch diese Haltung aus Routine und Alltagsmentalität stellt auch eine Gefahr für jede Partnerschaft in der Arbeitswelt und im privaten Zusammenleben dar, denn sie mindert die Entwicklung von Emotionen, von Anregung und Aufregung und schafft auf diese Weise einen sozusagen flachen Alltag ohne Höhen und Tiefen. Dabei ist gar nicht zu bestreiten, dass Ruhe und Harmonie einen gelassenen und entspannten Alltag fördern. Es sind aber gerade die Emotionen, die unsere Kräfte steigern und uns über den grauen Alltag erheben.
Gelingt es Partnern nicht, in ihrem Alltag etwas Neues zu entdecken, so wird dieses Manko häufig durch unmotivierten Streit kompensiert. Die Begründungen, mit denen ein solcher Streit begonnen wird, sind höchst banal: »Warum hast du dein Zimmer nicht aufgeräumt?«, »Immer lässt du deine Socken überall herumliegen!« oder: »Warum ist das Essen nicht fertig, wenn ich komme?« Dem einen ist es zu kalt in der Wohnung, dem anderen zu warm.
Streit erweckt seinerseits allerdings auch neue Emotionen, die ein
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