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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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gesichert, am Ende aber einen Rückzieher gemacht; dann hatte ein Mann vom Fernsehen es routiniert zu einer Sexschmonzette verarbeitet. So drückte Alice das natürlich nicht aus; sie sagte immer mit einem matten Lächeln, die Bearbeitung habe »die Dezenz des Buches äußerst sparsam dosiert«, eine Formulierung, die manch einem kryptisch erschien. Jane wiederum hatte mit The Primrose Path als zweite Favoritin für den Booker Prize gegolten, ein Vermögen für ein Kleid ausgegeben, mit Alice ihre Rede geübt und dann gegen einen Typen von den Antipoden verloren, der gerade groß in Mode war.
    »Von wem hast du das gehört, nur so interessehalber?«
    »Was?«
    »Die Geschichte mit Graham Greene.«
    »Ach, von diesem ... du weißt schon, der früher mal unser Verleger war.«
    »Jim?«
    »Ja, genau.«
    »Jane, wie kannst du nur Jims Namen vergessen?«
    »Tja, hab ich nun mal.« Der Zug donnerte so schnell durcheinen Dorfbahnhof, dass man das Schild nicht lesen konnte. Warum musste Alice so streng sein? Sie hatte doch auch ihre kleinen Fehler. »Hast du übrigens je mit ihm geschlafen?«
    Alice runzelte kaum merklich die Stirn. »Also, um ganz ehrlich zu sein, ich weiß es nicht mehr. Und du?«
    »Ich weiß es auch nicht mehr. Aber wenn du mit ihm geschlafen hast, dann ich wahrscheinlich auch.«
    »Klingt das nicht fast, als wäre ich ein Flittchen?«
    »Keine Ahnung. Ich dachte, es klingt eher, als wäre ich ein Flittchen.« Jane lachte, um ihre Unsicherheit zu überspielen.
    »Findest du das gut oder schlecht – dass wir das nicht mehr wissen?«
    Jane fühlte sich auf die Bühne zurückversetzt und mit einer Frage konfrontiert, auf die sie nicht vorbereitet war. Darum tat sie, was sie gewöhnlich auf der Bühne tat, und gab die Frage an Alice zurück: an die Teamführerin, die Vorturnerin, die moralische Instanz.
    »Was meinst du denn?«
    »Gut, eindeutig gut.«
    »Warum?«
    »Ach, ich glaube, solche Sachen sieht man am besten Zen-mäßig.«
    Diese Gelassenheit hatte manchmal zur Folge, dass Alice auf gewöhnliche Sterbliche etwas undurchsichtig wirkte. »Willst du damit sagen, es ist buddhistisch, wenn man vergisst, mit wem man geschlafen hat?«
    »Möglich wär’s.«
    »Ich dachte, im Buddhismus geht es darum, dass alles in einem anderen Leben wiederkommt?«
    »Tja, das würde erklären, warum wir mit so vielen Schweinen geschlafen haben.«
    Siesahen sich verständnisinnig an. Sie waren ein gutes Team. Als sie die ersten Einladungen zu Literaturfestivals bekamen, hatten sie bald festgestellt, dass es lustiger war, zu zweit aufzutreten. So hatten sie gemeinsam in Hay-on-Wye und Edinburgh gelesen, in Charleston und King’s Lynn, in Dartington und Dublin, sogar in Adelaide und Toronto. Sie reisten zusammen und ersparten ihren Verlagen damit die Ausgaben für einen Betreuer. Auf der Bühne führte eine die Sätze der anderen zu Ende, vertuschte die Schnitzer der anderen; sie kanzelten männliche Interviewer, die sie von oben herab behandeln wollten, spöttisch ab und rieten den Leuten, die zum Signieren anstanden, das Buch der anderen zu kaufen. Der British Council hatte sie auf einige Lesereisen ins Ausland geschickt, bis Jane einmal in München, als sie nicht ganz nüchtern war, ein paar undiplomatische Bemerkungen machte.
    »Was ist das Schlimmste, das man dir je angetan hat?«
    »Sind wir immer noch bei Bettgeschichten?«
    »Mhm.«
    »Jane, was für eine Frage.«
    »Nun ja, früher oder später wird man sie uns stellen. So, wie die Dinge jetzt laufen.«
    »Ich bin nie vergewaltigt worden, falls du das meinst. Zumindest«, fügte Alice nachdenklich hinzu, »hätte es vor Gericht nicht als Vergewaltigung gegolten.«
    »Also?«
    Als Alice nicht antwortete, sagte Jane: »Ich seh mir die Landschaft an, während du nachdenkst.« Sie schaute mit verschwommen gutmütigem Blick auf Bäume, Felder, Hecken und Vieh hinaus. Sie war immer ein Stadtmensch gewesen und zeigte an ländlichen Gegenden ein weitgehend pragmatisches Interesse, das in einer Schafherde vor allem den Lammbraten sah.
    »Esist nichts ... Offensichtliches. Aber ich würde sagen, es war Simon.«
    »Simon – meinst du den Schriftsteller oder den Verleger oder einen Simon, den ich nicht kenne?«
    »Simon den Schriftsteller. Das war kurz nach meiner Scheidung. Er rief mich an und wollte vorbeikommen. Er würde eine Flasche Wein mitbringen. Was er auch tat. Als sich abzeichnete, dass er nicht bekommen würde, worauf er es abgesehen hatte, steckte er den Korken

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