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Unbefugtes Betreten

Unbefugtes Betreten

Titel: Unbefugtes Betreten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Julian Barnes
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wieder rein und nahm die Flasche mit nach Hause.«
    »Was war es denn?«
    »Wie meinst du das?«
    »Na ja, war es Champagner?«
    Alice überlegte einen Moment. »Champagner kann es nicht gewesen sein, weil da der Korken nicht wieder in die Flasche reingeht. Meinst du, ob es französischer oder italienischer oder weißer oder roter war?«
    Jane hörte an ihrem Ton, dass Alice gereizt war. »Ich weiß nicht mehr, was ich gemeint habe. Das ist allerdings schlimm.«
    »Was ist schlimm? Dass du nicht mehr weißt, was du gemeint hast?«
    »Nein, dass jemand den Korken wieder in die Flasche steckt. Wirklich schlimm.« Als ehemalige Schauspielerin legte sie eine Kunstpause ein. »Vielleicht war es ein symbolischer Akt.«
    Alice kicherte, und Jane wusste, dass alles wieder im Lot war. Ermutigt sprach sie mit ihrer Fernsehkomödienstimme weiter. »Später kann man darüber lachen, nicht wahr?«
    »Ja, wahrscheinlich«, antwortete Alice. »Entweder man kann lachen, oder man muss religiös werden.«
    Jane hätte die Gelegenheit verstreichen lassen können. Aber Alices Verweis auf den Buddhismus hatte ihr Mut gemacht;außerdem, wozu sind Freunde da? Trotzdem guckte sie bei ihrem Geständnis zum Fenster raus. »So wie ich, ehrlich gesagt. Ein bisschen jedenfalls.«
    »Tatsächlich? Seit wann? Oder vielmehr, warum?«
    »Seit ein, zwei Jahren. Irgendwie bekommt damit alles einen Sinn. Es erscheint nicht mehr so ... hoffnungslos.« Jane streichelte ihre Handtasche, als brauche die gleichfalls Trost.
    Alice war überrascht. In ihren Augen war tatsächlich alles hoffnungslos, aber man musste sich einfach damit abfinden. Und wozu jetzt noch etwas an seinem Glauben ändern, wenn das Spiel schon so weit gediehen war. Sie überlegte, ob sie ernsthaft oder leichthin antworten sollte, und entschied sich für Letzteres.
    »Hauptsache, dein Gott lässt Trinken und Rauchen und Unzucht zu.«
    »Oh, auf all das legt er großen Wert.«
    »Was ist mit Blasphemie? Ich finde immer, das ist der Härtetest für einen Gott.«
    »Dazu hat er keine Meinung. Er steht irgendwie darüber.«
    »Dann bin ich dafür.«
    »Er auch. Er ist dafür.«
    »Mal was anderes. Für einen Gott, meine ich. Meistens sind sie dagegen.«
    »Einen Gott, der dagegen ist, würde ich wahrscheinlich nicht wollen. Davon hat man schon genug im Leben. Gnade, Vergebung und Verständnis, das brauchen wir. Und die Vorstellung von einem übergeordneten Plan.«
    »Hat er dich gefunden oder du ihn, falls das eine sinnvolle Frage ist?«
    »Absolut sinnvoll«, antwortete Jane. »Man könnte wohl sagen, es beruhte auf Gegenseitigkeit.«
    »Dashört sich ... komfortabel an.«
    »Ja, die meisten Leute finden nicht, dass ein Gott komfortabel sein sollte.«
    »Wie geht dieser Spruch noch mal? Irgendwas wie: ›Gott wird mir vergeben, schließlich ist das sein Job‹?«
    »Stimmt ja auch. Ich finde, wir haben Gott im Laufe der Jahrhunderte unnötig kompliziert.«
    Der Snackwagen kam vorbei, und Jane bestellte Tee. Aus ihrer Handtasche zog sie eine Plastikdose mit einer Zitronenscheibe und ein Kognakfläschchen aus der Hotel-minibar hervor. Sie spielte gern ein heimliches kleines Spiel mit ihrem Verlag: Je besser ihr Zimmer, desto weniger klaute sie. Letzte Nacht hatte sie gut geschlafen, darum hatte sie sich mit Kognak und Whisky begnügt. Aber einmal, in Cheltenham, war sie nach einer schlecht besuchten Lesung und einer klumpigen Matratze so wütend gewesen, dass sie alles mitgenommen hatte: Alkohol, Erdnüsse, Schokolade, den Flaschenöffner und sogar die Eisschale.
    Der Wagen mit den Snacks ratterte weiter. Alice stellte fest, dass sie den Zeiten nachtrauerte, in denen es noch richtige Speisewagen mit Silberbesteck gab und Kellner in weißen Jacken mit geübtem Griff das zwischen Gabel und Löffel geklemmte Gemüse vorlegten, während draußen die Landschaft vorbeischlingerte. Das Leben, dachte sie, bedeutet vor allem einen allmählichen Verlust des Vergnügens. Sex hatten sie und Jane etwa zur selben Zeit aufgegeben. Sie machte sich nichts mehr aus Alkohol, Jane achtete nicht mehr darauf, was sie aß – zumindest, was die Qualität betraf. Alice hatte ihren Garten, Jane ihre Kreuzworträtsel, wo sie zwecks Zeitersparnis manchmal Lösungen eintrug, die unmöglich richtig sein konnten.
    Jane war froh, dass Alice ihr nie Vorhaltungen machte, wennsie sich einen Drink genehmigte, obwohl es noch früh am Tag war. Sie hatte eine jähe Anwandlung von Zuneigung zu dieser gelassenen, stets

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