Uncharted - Das vierte Labyrinth
Rauchen auf und verbrachte dann viel Zeit damit, auf dem Ende einer nicht angezündeten Kubanischen herumzukauen. An diesem Morgen brauchte er jedoch offenbar ein paar Züge.
„Chicago“, sagte Sully. Seine schroffe Stimme klang noch kratziger als sonst. „Wie schnell kannst du in New York sein?“
Nate hielt inne, das klebrige Zimtteilchen auf halbem Weg zu seinem Mund.
„Was gibt’s denn in New York?“
Sully schien eine weitere Wolke Zigarrenrauch auszustoßen, bevor er antwortete.
„Einen Mord.“
Um kurz nach halb drei Uhr nachmittags saß Drake auf dem Rücksitz eines Taxis in New York City, atmete den Dunst des Weihrauchs ein, mit dem der Fahrer den Innenraum verpestete, und verfolgte, wie die grünen Straßenschilder auf dem Weg zur Grand Central Station vorbeiglitten. Eigentlich hätte er vom JFK International Airport in Queens einen Shuttlebus direkt zur Grand Central im Herzen von Manhattan nehmen können. Doch Sully hatte die Dringlichkeit der Angelegenheit deutlich gemacht, und ausnahmsweise schwamm Drake mal förmlich im Geld.
Er wünschte bloß, Sully wäre am Telefon mitteilsamer gewesen. Drake hatte sein ganzes Leben damit zugebracht zu lernen, die Dinge hinzunehmen, wie sie kamen, und Sullys Neigung, ihn in letzter Minute mit irgendetwas Neuem zu überfallen, trug eine gehörige Portion Schuld daran. Allerdings glaubte er nicht, dass Sullys Weigerung, ins Detail zu gehen, etwas mit den üblichen Spielchen des alternden Schatzjägers zu tun hatte. Unmittelbar bevor Sully das Gespräch so abrupt beendet hatte, hatte Drake gehört, wie im Hintergrund eine Frau weinte. Wenn sein alter Freund und Mentor nicht über den Mord hatte reden wollen, musste das daran liegen, dass jemand bei ihm war, der trauerte.Zwar konnte man Sully schwerlich nachsagen, eine einfühlsame Seele zu sein, aber herzlos war er ebenso wenig. Darüber hinaus würde eine trauernde Freundin auch erklären, warum Sully nicht zum Flughafen gekommen war, um ihn abzuholen. Falls er Drake aus irgendeinem Grund als Unterstützung brauchte, tendierte Sully normalerweise dazu, ihn so schnell wie möglich ins Bild zu setzen. Stattdessen hatte er Drake lediglich gebeten, sich unter der Uhr in der Haupthalle der Grand Central Station mit ihm zu treffen.
Das Taxi setzte Drake vor dem Pershing Square ab, einem Restaurant, das praktisch unter dem erhöhten Park-Avenue-Viadukt versteckt war. Drake bezahlte den Fahrer, würdigte ihn jedoch kaum eines Blickes. In Gedanken war er schon ganz woanders. Er hatte das große Glück gehabt, schon eine halbe Stunde, nachdem er am Telefon mit Sully gesprochen hatte, einen Flug von Chicago hierher zu erwischen. Die meiste Zeit während der beinahe zweieinhalb Stunden in der Luft und der Dauer der Taxifahrt war es ihm gelungen, sich einfach nur treiben zu lassen oder sich auf andere Dinge zu konzentrieren. Nun aber, da er angekommen war, konnte er nicht umhin sich zu fragen, was es wohl mit alldem auf sich hatte.
Victor Sullivan hatte ihn praktisch großgezogen, seit er ein Teenager gewesen war, und ihm alles – oder beinahe alles – beigebracht, was nötig war, um in einem Gewerbe am Leben zu bleiben, in dem es nicht gerade zimperlich zuging. Sie waren schon auf der ganzen Welt auf der Suche nach Schätzen und Antiquitäten gewesen, für so ziemlich jeden, der es sich leisten konnte, ihren Preis zu bezahlen. Und in all dieser Zeit hatte er Sully noch nie so grimmig und niedergeschlagen gehört wie vorhin am Telefon.
Ein Taxifahrer drückte auf die Hupe, als Drake über die Straße eilte. Ihm schlug frostiger Oktoberwind entgegen, und er zitterte und wünschte sich, er hätte einen Mantel getragen. Seine Taschen hatte er in einem Schließfach auf dem JFK deponiert, in der Annahme, dass er zum Flughafen zurückkehren würde, sobald er der Stadt wieder den Rücken kehrte. Aber in seinem Gepäck befand sich sowieso nichts, was ihm jetzt von großer Hilfe gewesen wäre.
In Ecuador war es warm und feucht gewesen. Drake hatte in seinem Leben so viel Zeit an heißen, schwülen Orten zugebracht, dass ihm der kalte Herbstwind nichts ausmachte. Trotzdem war der Temperaturwechsel gravierend, so als würde man durch eine Tür treten und wäre von einem Ende der Welt ans andere gelangt.
Würde das mein Leben nicht viel einfacher machen? , dachte er. Aber natürlich passierte so etwas nur in Science-Fiction- und Fantasy-Geschichten, in denen die Helden allesamt edel waren und der Tod nicht zwangsläufig
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