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Und da kam Frau Kugelmann

Und da kam Frau Kugelmann

Titel: Und da kam Frau Kugelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Minka Pradelski
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das alles nur wegen Vaters erstem Platz auf der schwarzen Liste!
    Und dann hat Fettauge eine so grausame Entdeckung gemacht, dass die Sache mit der vergessenen Kasse plötzlich nicht mehr so wichtig war. In einer kleinen Ortschaft vor Lemberg, wo sich die Familie zum Verschnaufen aufhielt, hat er erfahren, dass sich jemand aus Bendzin in der Stadt befand, ein Flüchtling, eine Lehrerin, die bei dem Einmarsch der Deutschen in ihre Heimatstadt geflüchtet war und jetzt bei ihren alten Eltern wohnte. Fettauge hatte eine so große Sehnsucht nach seiner Schule, dass er sich auch gefreut hätte, den Hausmeister Kowalski zu sehen, und selbst wenn es die strenge Fanny Sternenlicht gewesen wäre, hätte er sofort, noch auf einer grünen Wiese, mit großer Freude die versäumte Prüfung nachgeholt. Fettauge hoffte inständigst, es möge eine Lehrerin aus seiner Schule sein, obwohl es in Bendzin recht viele Schulen gab. Als er in die Nähe des Hauses kam, sah er von weitem eine Frau auf dem Rasen sitzen, ohne Bewegung, als wäre sie nicht am Leben. Und als Fettauge vor der Frau stand, schob sie die Zunge aus dem Mund und zeigte sie ihm. Fettauge hatte noch nie Frau Kleinowas Zunge gesehen, sie war nach vorne schmal und rosig an den Seiten, in der Mitte breit, mit kleinen Schrunden und einem gesunden weißlichen Belag. Dr. Goldstaub hätte an Kleinowas Zunge bestimmt nichts zu beanstanden gehabt. Für Fettauge aber war es so schrecklich, seine Polnischlehrerin mit herausgestreckter Zunge zu sehen, dass ihm die Tränen aus den Augen liefen. ›Frau Kleinowa‹, sprach er sie sanft an, ›kann ich etwas für Sie tun?‹ Keine Antwort gab sie ihm, die Zunge hing weiter aus dem Mund, als gäbe es nichts zu sagen, und dann kam ihr alter Vater und führte sie ins Haus, ohne Fettauge zu fragen, wer er denn sei und ob er etwa von früher her seine Tochter kenne, als sie noch Lehrerin war.
    Zugegeben, die Kleinowa war immer sehr nervös und hat auch die Klasse verrückt gemacht, sie hat manches Mal morgens gesagt, die Schüler sollten ihr in die Augen schauen, und wenn sie blau seien, dann würden sie heute sehr leichte Aufgaben bekommen. Ihre Augen waren immer blau, und trotzdem waren die Aufsätze schwer und wurden streng benotet. Aber das waren doch nur kleine nervöse Reden. In Bendzin aber hat sie ein paar Tage nach dem Einmarsch erlebt, dass Männer, Frauen und Kinder in die brennende Synagoge getrieben wurden, das hat ihr auf der Stelle die Nerven zerstört.
    Selbst in diesen schlimmsten Zeiten haben unsere Chassiden noch an ein Wunder geglaubt. Einen Tag bevor die deutschen Soldaten die Grenze überschritten, floh Mendel mit seiner Familie. Erst mal raus aus Bendzin mit den Kindern, es waren unruhige Zeiten. Das Geschäft wurde abgeschlossen und verriegelt, die Sessel mit weißen Laken bezogen, die Wohnung verdunkelt, der Schlüssel abgezogen. Mendel nahm für jedes Familienmitglied eine Decke mit, die Mutter einen Korb voller Hühnerschmalz und Brot. Zur Hintertür sind sie hinaus und zu Fuß durch den Wald. Unterwegs trafen sie den Apotheker Gablonski, der ihnen seinen Pferdewagen auslieh. Die Reise ging nach Olkusz. Sie hätten auch in andere kleine Städtchen fliehen können, sie hatten in der ganzen Gegend Verwandte, aber Mendel wollte in der Nähe seines Rebben sein. In der ersten Nacht wohnten sie mit mehreren Flüchtlingsfamilien in einem kleinen Zimmerchen. Man beriet sich, was zu tun sei. Für gefährdet hielt man nur die Männer, man glaubte, den Frauen und Kindern werde kein Haar gekrümmt. Die bange Frage war, ob die Männer die Frauen sich selbst überlassen sollten, während sie nach Russland flohen? Oder sollten die Männer ihre Familien nicht doch besser mitnehmen und sie den schweren Strapazen einer Flucht aussetzen? Mendel wog für und wider ab, ohne eine Entscheidung treffen zu können. Dann holte er sich beim Rebben Rat. Der Rebbe überlegte einen kurzen Augenblick und sagte, der Vater solle so schnell wie möglich Olkusz mit seiner Familie verlassen und nach Dombrowa fahren, ohne unterwegs Halt zu machen, auch nicht für eine kurze Pause oder auch nur für einen Augenblick. Sofort packte die Familie ihre Sachen, nahm den Pferdewagen und trat den Rückweg mit anderen Bendziner Flüchtlingsfamilien an. Unterwegs trafen sie die safrangelben Brüder Samek und Poldek Teitelbaum mit ihren vier rothaarigen Söhnen, die in Slawkow verzweifelt nach der feuerroten Laje Dresel suchten, die ihnen auf der Flucht

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