Und dann kam Paulette (German Edition)
seinem Traum schwamm er wie ein Fisch im warmen, blauen Wasser und wurde von Delphinen begleitet. Er hatte noch nie welche live gesehen, nur im Fernsehen, in Tierfilmen oder in Sendungen über das Meer. Aber als er aufwachte, ging es erst richtig los. Ferdinand war noch ganz benommen und tastete wie jeden Morgen auf der Suche nach seinen Pantoffeln mit dem linken Fuß die Umgebung seines Bettes ab. Als seine Zehen etwas Weiches und Lauwarmes berührten, stand er automatisch auf und wollte hineinschlüpfen. In dem Moment rutschte ihm dann doch ein «Verdammte Scheiße!» heraus. Was in seiner Situation durchaus verständlich war, denn er war auf einen Tierkadaver getreten. Die allmorgendliche Maus, ein Geschenk seines Katers. Um genau zu sein: des Katers seiner heißgeliebten Enkel, den sie gemeinsam Lolli getauft hatten. Da seine Schwiegertochter Isabelle zwei Tage vor ihrem Auszug plötzlich allergisch auf Katzenhaare reagiert hatte, hatte er das Tier wohl oder übel dabehalten müssen. Ja, ja, ist schon in Ordnung, Opa Ferdinand kümmert sich um euern Lolli. Macht euch keine Sorgen. Ich passe gut auf ihn auf. Und ihr könnt ihn jederzeit besuchen kommen, okay? He, ihr Lulus, jetzt ist gut mit Weinen, ja?
Hätte er die Wahl gehabt, wäre ihm ein Hund lieber gewesen, auch wenn er vor sechs Monaten geschworen hatte, sich nach Velcro keinen mehr zuzulegen. Der hatte sich ziemlich dämlich angestellt, ihm nicht gehorcht und war als Wachhund eher mittelmäßig gewesen, dafür aber sehr anhänglich. Und das entschädigte für alles. Ach, wie sehr er ihm fehlte, der Bursche! Mit Katzen war es einfach: Die mochte er nicht. Sie waren durchtrieben, hinterlistig, die reinsten Diebe und so weiter. Sie taugten lediglich für die Jagd auf Mäuse und Ratten. Und das auch nur, wenn man die richtige erwischte. In puncto Gehorsamkeit war von vornherein klar, dass man schlechte Karten hatte. Und auch, was die Anhänglichkeit betraf, musste man sich bescheiden. Es konnte sogar sein, dass man ganz darauf verzichten musste.
Die Folgen: Am Tag des Umzugs hatte sich die kleine Fellkugel abends auf seinem Bett breitgemacht, und er hatte es nicht gewagt, ihn zu vertreiben, er war noch so klein … Am zweiten Tag war er unter die Bettdecke gekrochen, hatte sich an ihn geschmiegt, das Mäulchen in seine Ohrmuschel gesteckt, total süß; am vierten kratzte er an den Füßen des Sessels, ohne dass es ihn im mindesten störte, und am Ende der Woche futterte er auf dem Tisch aus einer Schüssel, die mit seinem Namen beschriftet war. Fehlte nur noch der Serviettenring, dann wäre das Szenario perfekt gewesen.
Fast zwei Monate ist es her, dass sein Sohn Roland, Isabelle und die beiden Kinder ausgezogen sind. Dass sie den Hof verlassen und Ferdinand mit dem Kater allein gelassen haben. An manchen Tagen fragt er sich – leicht erstaunt –, ob er dieses einschneidende Erlebnis und den damit verbundenen Schmerz so gut verkraftet hätte, wenn Lolli nicht an seiner Seite gewesen wäre.
Für weiteres Erstaunen sorgte seine tiefgreifende Wesensänderung. Er, der kühle Ferdinand, der Fels in der Brandung, den nichts aus der Bahn warf. Damit war es vorbei. Von heute auf morgen wurde er empfindsam. Ihm kamen beim geringsten Anlass die Tränen, plötzlich nahm er sich alles zu Herzen. Seine Schutzschicht hatte Risse bekommen. Vielmehr ein großes Loch. Das er mit allen Mitteln zu stopfen versuchte.
Natürlich erzählt er niemandem davon. Er konnte sich noch nie besonders gut ausdrücken, schon gar nicht, wenn es um seine Gefühle ging. Es kam ihm dann immer so vor, als würde er sich an einem Markttag mitten auf dem großen Platz nackt ausziehen. Das ist nichts für ihn. Er behält seine Gedanken lieber für sich, tief vergraben, das ist einfacher.
Daher weiß kein Mensch, dass der Auszug der Kinder und die damit einhergehende Leere ihn tief verletzt haben. Ritsch, ratsch! Eine riesige Schnittwunde quer über der Brust. Es wird dauern, bis diese Wunde verheilt. Monate oder Jahre. Vielleicht auch nie. Gut möglich, dass das so ist.
Nachdem er zunächst auf die tote Maus gestoßen war, hatte er seinen Pantoffel schließlich unter der Kommode gefunden, den Tierkadaver beim Schwanz gepackt und draußen auf den Misthaufen geworfen.
Und in diesem Moment, im Pyjama draußen auf dem Hof, die Hose noch feucht, fragte er sich verzweifelt, wie er dem Kater beibringen könnte, dass es besser wäre, viel besser, wenn es seine Beute fressen würde. Sinnloses
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