Und dann kam Paulette (German Edition)
erinnert, dass bei ihm das Gegenteil der Fall ist. Fast hallt es, so leer ist das Haus. Der Gedanke stimmt ihn traurig, er widmet sich wieder der Wachstuchdecke. Schließlich fragt er sie doch.
«Ich mische mich normalerweise nicht in anderer Leute Angelegenheiten ein, Madame Marceline, das wissen Sie. Aber – könnte es vielleicht sein, dass Sie im Moment so viele Sorgen haben, dass Sie deshalb – dass Sie deshalb …?»
«Dass ich was?»
«Das Gas?»
«Was ist mit dem Gas?»
«Na ja, dass Sie …»
Jetzt wird es kompliziert. Das Thema ist viel zu persönlich, so etwas ist gar nicht sein Ding. Trotzdem spürt er, dass er etwas sagen muss. Er redet um den heißen Brei herum, flüchtet sich in Phrasen, versucht sich mit Andeutungen verständlich zu machen. (Ihm gefällt die Formulierung «zwischen den Zeilen lesen».) Er ist felsenfest davon überzeugt, dass Worte seine Gedanken nur unzulänglich wiedergeben, und würde sich am liebsten von seinem Instinkt leiten lassen. Obwohl er, wenn er ehrlich ist, zugeben muss, dass der ihm schon häufiger übel mitgespielt hat, der Schurke! Da zwangsläufig eins das andere nach sich zieht, fürchtet er, dass Marceline gleich furchtbar emotional reagieren, in Tränen ausbrechen oder gar ein Geheimnis lüften könnte. Der Gedanke gefällt ihm überhaupt nicht. Um wie vieles leichter wäre das Leben, wenn jeder sich einfach nur um seine eigenen Angelegenheiten kümmern würde! Bei seiner Frau hatte er ein Mittel parat, um allzu intimen Unterhaltungen zu entgehen: Sobald er spürte, dass sie in diese Richtung abzudriften drohte, fing er an, von der Vergangenheit zu reden. Ein dahingesagtes Wort genügte, fortan brauchte er nur noch mit halbem Ohr hinzuhören. Sie hat das Plaudern geliebt, seine arme Frau. Das Plaudern über alles, über nichts, über Banalitäten, ein echtes Waschweib. Was sie am meisten geliebt hat, waren Gespräche über die Vergangenheit, ihre Jugend, darüber, dass früher alles besser war. Um wie viel schöner damals alles war, vor allem, bevor sie sich kennengelernt hatten! Es endete immer damit, dass sie voller Zorn aufzählte, was sie anderswo hätte erleben können, in Amerika, in Australien, vielleicht auch in Kanada. Na klar, warum nicht, möglich wäre es schon gewesen. Wenn er sie nur nicht zum Tanz aufgefordert, ihr zärtliche Worte ins Ohr geflüstert, sie nicht so fest an sich gedrückt hätte, auf diesem verfluchten Ball am 14. Juli. Unendliches Bedauern.
Er nahm es ihr nicht übel. Auch er hatte geträumt, von großartigen Dingen. Doch er hatte rasch begriffen, dass seine Träume und die Liebe nicht miteinander zu vereinbaren waren. Vielleicht war er auch einfach nicht für die Liebe geschaffen. Oder seine Zeit war noch nicht gekommen. Er musste noch warten, auf ein anderes Leben vielleicht, wie die Katzen.
Gut. Zurück zur Gegenwart.
Er ist im Haus seiner Nachbarin. Sie hat ein Problem, scheint aber – trotz seiner vorsichtigen Fragen – nicht darüber reden zu wollen. Er weiß nicht viel über sie, nur, dass sie Marceline heißt. Sie verkauft Honig, Obst und Gemüse auf dem Markt und kommt wahrscheinlich nicht von hier. Sie könnte Russin sein oder Ungarin? Jedenfalls stammt sie aus einem östlichen Land. Und sie ist noch nicht lange hier, ein paar Jahre erst. Sechs oder sieben? Na ja, immerhin …
Er sieht sich weiter um. Diesmal fällt ihm auf, dass über der Spüle kein Warmwasserboiler hängt, auch sind weder Kühlschrank noch Waschmaschine oder Fernseher zu sehen. Keinerlei moderner Komfort. Wie früher, als er ein Kind war. Damals hatten sie nur ein Radio, um sich auf dem Laufenden zu halten, und kaltes Wasser aus dem Hahn. Im Winter, daran erinnert er sich gut, versuchte er stets, sich vor dem Waschen zu drücken. Auch vor der Mühsal des Wäschewaschens, wenn die Sachen steif und eisig aus dem Brunnen kamen und er beim Auswringen helfen musste, mit seinen rissigen Fingerkuppen. Was hat man sich damals abgerackert, meine Güte! Vielleicht, überlegt er, hat die arme Madame Marceline auch genug gehabt von diesem Leben. Von der Härte und all den Widrigkeiten. Womöglich hat sie den Mut verloren. Und außerdem ist sie weit weg von ihrer Heimat, von ihrer Familie. Das könnte sehr wohl der Grund sein …
Er spürt, dass er nicht drum herum kommt. Dass er die Sache in die Hand nehmen, dass er reden muss. Über andere Dinge als Nichtigkeiten, den Regen oder das schöne Wetter. Oder ihren Hund. Ein schlaues Kerlchen,
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