"Und dann werde ich das größte Zeitungshaus Europas bauen" - der Unternehmer Axel Springer
anfangs unternehmerisch geprägte Vision für eine Berliner Verlagsdependance, erkannte die verlegerischen Potentiale der Ullstein-Blätter, konzipierte ein letztlich unrealisiertes europäisches Magazin, plante die Wiederbelebung der renommierten
Berliner Illustrirten
, verfolgte eine massive Expansionsstrategie auf dem bundesdeutschen Zeitschriftenmarkt und strebte mit allen Mitteln einen Einstieg in das Fernsehgeschäft an. In der Regel delegierte Springer seine verlegerischen Schlüsselprojekte an profilierte Chefredakteure oder Führungskräfte, die zwar seinen Vorgaben folgten, jedoch fast immer über einen großen Gestaltungsspielraum verfügten, der Motivation, Eigenverantwortung und Kreativität nachhaltig stärkte. Aus Sicht von Springer blieb Innovationsförderung weitgehend auf einen Personalauswahl- und Führungsprozess beschränkt. Einzig mit dem »Redaktionellen Beirat« versuchte er, Innovationsprozesse institutionell zu verankern. Gleichzeitig unterstützte er die von Kracht initiierte Dezentralisierungsstrategie, die unternehmerisches Denken und kreative Dynamik innerhalb eines sich bürokratisierenden Verlagskonzerns sichern sollte. Höhepunkt dieser Entwicklung war der dezentrale Umbau des Kindler & Schiermeyer-Verlags zu einem der produktivsten Zeitschriftenhäuser der Bundesrepublik. Derweil verlor Springers verlegerischer Schaffensdrang aus vielfältigen Gründen an Intensität; das »schöpferische Ingenium« 2 erlosch. Auch die Innovationsfähigkeit des Verlagshauses nahm Ende der 1960er-Jahre spürbar ab. Außer in den Redaktionen der
Bild
-Zeitung und der neugegründeten Fachzeitschriften fehlte es an kreativen und durchsetzungsstarken Blattmachern. Mangelnde Führung, bürokratische Strukturen und ein ausgeprägtes Besitzstandsdenken verstärkten den Negativtrend.
In der Gesamtschau bleibt festzuhalten, dass das Zusammenspiel von Springers schöpferischer Kraft mit seinem Gespür für verlegerische Marktchancen und seiner Umsetzungsstärke einen wesentlichen Erfolgsfaktor für dessen unternehmerischen Aufstieg darstellte. In diesen Punkten ähnelt Springer Joseph Schumpeters Figur des »dynamischen Unternehmers«. Von besonderer Bedeutung war, dass sich eine individuelle mit einer strategischen Innovationsfähigkeit verband, auf deren Basis Springer nicht nur das
Hamburger Abendblatt
und die
Bild
-Zeitung konzipierte und erfolgreich vermarktete, sondern auch die schöpferische Kraft anderer für sein Verlagshausnutzbar machen konnte – beginnend mit dem konstitutiven Verlagsobjekt
Hör zu
, über
Constanze
,
Bild am Sonntag
und die Berliner Blätter, bis hin zu
Jasmin
und
Bild der Frau
. So wurde Springer zu einem »Serien-Verleger«, dessen unternehmerischer Erfolg auf mehreren Verlagsobjekten basierte.
Führungs- und Mitarbeiterkompetenz
Ohne die schöpferische Kraft, die fachliche Expertise und das organisatorische Geschick einzelner journalistischer und kaufmännischer Führungskräfte hätte Springer weder seine verlegerischen Eigenentwicklungen zur Marktreife bringen noch ein Verlagshaus mit der vorhandenen Produkttiefe und Auflagenstärke errichten können. Grundlage war ein Führungssystem, das erstens den Anspruch realisierte, nicht nur überaus profilierte Journalisten und erfahrene Verlagsfachleute für das Unternehmen zu gewinnen, sondern auch talentierte Nachwuchskräfte zu fördern und an geeignete Positionen heranzuführen. Es erzeugte zweitens durch verschiedene Instrumentarien eine überdurchschnittlich hohe Leistungsbereitschaft und setzte drittens durch die Gewährung von Gestaltungsspielräumen systematisch kreative und unternehmerische Potentiale frei. Auch wenn Springer formell an allen wesentlichen Unternehmensentscheidungen beteiligt blieb, waren hochrangige Führungskräfte in Teilbereichen befugt, über strategische Fragen zu entscheiden. Dies galt, wie dargestellt wurde, vor allem für kaufmännische Belange. Eine klare Trennung zwischen strategischen und operativen Entscheidungsebenen existierte nicht.
Die Kernelemente des Führungssystems basierten auf Springers persönlichen Charakterzügen und Neigungen; dies galt insbesondere für seine visionäre Kraft, seine charismatischen Fähigkeiten, sein journalistisches Qualitätsbewusstsein, seine Loyalitätsgefühle, seine Freigiebigkeit oder seine interessengeleiteten, auf Vertrauen aufbauenden und zugleich zielorientierten Delegationsmuster. Die ausgeprägte Leistungsmotivation, die er durch wohlinszenierte
Weitere Kostenlose Bücher