und das Goldene Dreieck
fragte sich, was aus ihm
geworden war. Sicher, sie war müde, aber daran lag es nicht.
Seit Oberst Lus Erklärung hatte jeglicher Optimismus sie
verlassen, und sie hatte große Angst. Sie war Cyrus mit
beachtlichem Optimismus gefolgt, das stimmte, aber über die
Freude des Wiedersehens hinaus hatte sie nicht gedacht. Cyrus
hatte ihre Lage viel besser erkannt als sie: Er hatte gesehen, wie
wenig ein Menschenleben bedeutete in dieser Welt der
Schmuggler, Kriegsherren und Drogenhändler, wo sogar die
Tatsache, daß sie Amerikaner waren, gegen sie sprach. Sie hatte
wahrscheinlich zu viel als gegeben vorausgesetzt - und dann
hatte sie erfahren müssen, daß es gar nicht so einfach war: daß
ein Fremder, der in einem Hubschrauber kam, über ihr Schicksal
entscheiden würde. Das hatte ihre Erwartungen über den Haufen
geworfen und ihr einen Schock versetzt.
Sie schwieg jedoch, sie alle schwiegen und beschäftigten sich mit der mehr als unerfreulichen Neuigkeit, daß sie möglicherweise diesen Tag nicht überleben würden. Ihr Bewacher beobachtete sie aus nur wenige n Schritten Entfernung mit sichtlicher Neugier. Mrs. Pollifax entging nicht, daß er selbst die kleinste Bewegung, die nichtssagendste Geste registrierte - offenbar waren sie die ersten Amerikaner, mit denen er in Berührung kam -, aber aus seinen Augen sprach keine Feindseligkeit. Unter anderen Umständen würde er ihnen sicher viele Fragen stellen: Was die Amerikaner über die Schan wußten; ob alle Amerikaner wie Cyrus Schuhe aus Leder trugen
- sein Blick wanderte immer wieder zu ihnen -, und was sie hierhergeführt hatte. Sein Gewehr blieb jedoch unbewegt auf sie gerichtet und sein Blick verlor nichts von seiner Wachsamkeit. Er war jung und pflichtbewußt, und Mrs. Pollifax zweifelte nicht im geringsten, daß er auf sie schießen würde, wenn sie eine verdächtige Bewegung machten. Hinter ihnen hatten drei Soldaten angefangen, die Baracke abzubauen, in der sie Cyrus gefunden hatte. Fertigbauteile hatten also sogar ihren Weg in den Dschungel gefunden, dachte sie und schaute ihnen zu, wie sie jede Wand aus geflochtenem Bambus aus den Halterungen lösten und wie einen Teppich zusammenrollten. Der Oberst hatte ein Funkgerät unter einem Baum aufgestellt. Er sprach hinein und warf immer wieder erwartungsvolle Blicke zum Himmel. Rechts von ihm kauerte ein Soldat auf dem Boden; er öffnete eine Betelschachtel, breitete ein Blatt auf den Handteller und mischte darauf Pulver aus der Schachtel. Dann schob er das Blatt in den Mund und begann langsam, methodisch und genießerisch zu kauen; dann und wann spuckte er roten Saft auf
den Boden.
Schließlich sagte Mrs. Pollifax: »Wer, glaubt ihr, ist diese
hochgestellte Persönlichkeit, die erwartet wird? Dieser Mann,
der entscheiden wird, ob wir am Leben bleiben dürfen oder
oder...«
»Oder sterben müssen«, sagte Cyrus sanft. »Sag es, meine
Liebe, sprich das Wort aus.«
»Na gut - sterben müssen.«
Er drückte ihre Hand und behielt sie in seiner. »Wir hatten ein
schönes Leben, Emily.«
Sie nickte. »Aber daß ich dich wiedergefunden habe, Cyrus,
hat mich mit großer Hoffnung auf noch ein paar schöne,
gemeinsame Jahre erfüllt... Zwei Tage lang fragte ich mich, wie
ich das Leben ohne dich je wirklich genießen konnte.« Er lächelte. »Dann ist es nicht so schlimm, wenn wir
miteinander sterben, nicht wahr?«
Sie erwiderte sein Lächeln. »Dafür danke ich dir. Das ist eine
tröstliche Einstellung.«
»Hast du Angst vor dem Tod?«
Sie schüttelte den Kopf. »Er hat schon mehrere Male über mir
geschwebt, weißt du? Nein, Angst ist es nicht direkt, aber ich
muß zugeben, es erfordert eine innere Umstellung, denn ich
hatte nicht damit gerechnet, daß es schon heute soweit sein
würde - so abrupt -, vielleicht in dieser oder der nächsten
Stunde. Ich hatte gehofft, unser Haus wiederzusehen, unseren
Garten, den Frühling und... oh, ich muß müde sein! Tut mir leid,
Cyrus.«
»Kann mir nicht vorstellen, wieso du müde sein könntest«,
entgegnete er lächelnd. Er nahm sie fest in die Arme und tröstete
das enttäuschte Kind in ihr, bis sie sich an Bonchoo erinnerte
und ein bißchen zur Seite rückte. Dankbar lächelte sie Cyrus an,
dann wandte sie sich an Bonchoo.
Taktvoll hatte er in eine andere Richtung geblickt.
»Bonchoo?«
»Nein, ich habe auch keine Angst, Koon Emily«, sagte er mit
innerer Würde. »Ein Buddhist nimmt sein Schicksal hin, so
werde ich heute sterben oder nicht sterben, und wenn, ist es
mein Karma. Ich
Weitere Kostenlose Bücher