und das Haus in den Huegeln
zu dramatisieren. Sein Gefühl mußte ihm also sagen, daß Sandra
tatsächlich in Gefahr war.
„Was können wir anderes tun,
als abzuwarten, bis Sandra sich meldet?“ sagte Herr Seibold mehr zu sich
selbst. „Weißt du was, Joschi? Falls wir bis zum Abend nichts von Sandra hören,
bespreche ich mich mit Herrn Kresser...“
„Bitte, rufen Sie ihn jetzt
an“, unterbrach ihn Joschi. „In der Nacht kann Herr Kresser wenig unternehmen.
Vielleicht findet die Polizei den Kleinbus, wenn die Fahndung schnell anläuft.“
Kriminalhauptkommissar Kresser
war ein langjähriger Freund von Herrn Seibold, jedoch jünger als dieser und
noch im Dienst.
Sie kannten einander aus der
Zeit, als Florian Seibold als Rechtsanwalt und Strafverteidiger tätig gewesen
war.
„Die Polizei wird nicht nach
einem Mädchen fahnden, das erst seit zwei Stunden vermißt wird, und von dem wir
nicht hundertprozentig wissen, ob es entführt worden ist oder sich nur spontan
zu einer Spritztour entschlossen hat.“
„Ich weiß es“, widersprach
Joschi.
Doch Herr Seibold fuhr
ungerührt und als habe er Joschis Einwand nicht gehört, fort: „Gegen den
Sektenführer selbst liegt vermutlich nichts vor, das eine polizeiliche Fahndung
auszulösen erlaubte. Aber ich werde Herrn Kresser von deiner, oder besser
unserer Besorgnis berichten. Er ist ein erfahrener Kriminalist und weiß, was zu
tun nötig und möglich ist.“ Dann fuhr er fort: „Moment, ich hole meinen
Füllhalter! So, und nun gib mir eine möglichst genaue Personenbeschreibung von
dem Sektenführer und seiner Begleiterin. Erinnere dich, ob dir an dem Kleinbus
etwas aufgefallen ist, was der Polizei helfen könnte, ihn zu finden. Vielleicht
kommst du auch noch auf das Fabrikat, oder es fällt dir ein Teil des
polizeilichen Kennzeichens ein.“
Joschi erzählte ihm alles,
woran er sich erinnerte. Und er wies Herrn Seibold auch nochmals auf den
Parkwächter hin. Vielleicht würde der Mann sich besser an den Kleinbus
erinnern, wenn er nüchtern war.
„Hab alles notiert. Und nun
gehst du besser heim und hörst auf, dir Sorgen zu machen, Junge“, schlug Herr
Seibold Joschi vor. „Morgen lachst du über die ganze Sache. Und wenn die junge
Dame auftaucht, dann rede ihr gründlich ins Gewissen, auch in meinem Namen.
Bestelle ihr, daß ich mich zu alt für solche Späße fühle.“
„Sie nehmen die Sache immer
noch nicht ernst, nicht wahr?“ fragte Joschi mißtrauisch.
„Doch, das tue ich“,
versicherte ihm Herr Seibold. „Aber hilft es etwas, wenn wir uns jetzt vor
Sorge verzehren? Wir müssen einen klaren Kopf behalten. Sollte Sandra
verschwunden bleiben, dann haben wir genug damit zu tun, ihrer Mutter und ihrer
Großmutter zu helfen.“
Joschi sah das ein und
verabschiedete sich von Herrn Seibold.
Florian Seibold legte den Hörer
auf und rief nach einer Weile seinen Freund Kresser an.
Kressers Frau kam an den
Apparat und erklärte, daß ihr Mann Wochenend-Bereitschaftsdienst habe und im
Polizeipräsidium anzutreffen sei.
Florian Seibold hielt das für
einen günstigen Umstand.
Er wählte die Nummer des
Polizeipräsidiums und ließ sich mit dem Leiter des Morddezernats verbinden.
Als Leiter des Morddezernats
hatte der Hauptkommissar natürlich nichts mit diesem Fall zu tun. Doch Florian
Seibold baute darauf, daß der Freund ihm erstens raten und zweitens seine
zuständigen Kollegen darüber befragen würde, ob gegen die Sektenmitglieder ein
Verfahren anhängig sei und ob bekannt war, wo sie wohnten.
„Mischst du dich schon wieder
in Sachen ein, die dich nichts angehen, Florian?“ fragte der Hauptkommissar,
nachdem Herr Seibold ihm sein Anliegen vorgetragen hatte. „Weshalb läßt du
deinen Sohn nicht selbständig werden? Schließlich hast du ihm deine Praxis
übertragen. Und du tatest gut daran. Dein Egbert ist ein fähiger Rechtsanwalt,
und es ist eine Freude, mit ihm zusammenzuarbeiten“, betonte er.
Kresser konnte es sich nie
verkneifen, darauf anzuspielen, daß ihm der Freund früher manchen Ärger
bereitet hatte durch die Art, wie er seine Mandanten vertrat und vor dem
Richter die Schuldbeweise, die die Kriminalisten zusammengetragen hatten,
temperamentvoll in Frage stellte.
„Ich höre es nicht gern, wenn
du meinen Sohn lobst, denn dann ist er zu nachgiebig. Euch muß man treten,
damit ihr die Katze aus dem Sack laßt“, erwiderte Florian Seibold sarkastisch.
Dann lachte er. „Egbert macht Karriere. Er ist ein gefragter Anwalt, nicht
wahr?“ sagte er stolz.
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