Und das Leben geht doch weiter
den erhofften Lohn geprellt. Seine Spekulation war folgende gewesen: Wenn sie noch lebt und ich sie finde, bin ich für sie der Größte. Dann gelingt's mir gewiß, jeden anderen, zumindest für eine Weile, aus dem Feld zu schlagen. Ein solches Mädchen habe ich noch nie gehabt, so eine fehlt mir noch in meiner Sammlung.
War Alois Trenker deshalb in moralischer Hinsicht ein minderwertiges Subjekt? Auf keinen Fall. Wenn man bedachte, was er für ein Mädchen, mit dem er gern ins Bett gestiegen wäre, gewagt hatte, war er eher als ein Held anzusehen. Wer wäre denn nicht gern mit Carola Burghardt ins Bett gestiegen? Jeder hätte das gerne getan – und zwar ohne vorher Kopf und Kragen zu riskieren.
Aber nun stand Alois Trenker vor den Scherben seiner Überlegung. Er mußte sogar annehmen, daß Carola gar nicht erst durch den Schneesturm gezwungen wurde, eine Schutzhütte aufzusuchen, sondern sich dort schon vorher planmäßig mit ihrem Liebhaber getroffen hatte.
Ihrem Liebhaber?
Schöner Liebhaber!
Alter Sack – das stimme eher. Dies sagte sich Alois Trenker, nachdem er sich angesichts der Situation, der er sich gegenübersah, ein rasches Urteil über Padenberg gebildet hatte.
Was will sie denn mit dem? fragte er sich. Ich hätte ihr einen anderen Geschmack zugetraut.
Na schön, da kann man nichts machen, dachte er, und das war eine Südtiroler Lebensweisheit schlechthin.
»Dann hau' ich also wieder ab«, sagte er zu Carola. »Oder wollen Sie mit runterfahren? Im Tiefschnee werden Sie vielleicht Probleme haben.«
»Danke, Herr Padenberg«, erwiderte sie, zu diesem hinnickend, »wird mich begleiten.«
»Gut. Und wann ungefähr werden Sie im Hotel erscheinen? Die werden mich nämlich danach fragen.«
Carola zögerte, blickte dann Padenberg an.
Trenker konnte es sich deshalb nicht verkneifen hinzuzufügen: »Wissen Sie das etwa noch nicht?«
»Bald.«
»Hoffentlich noch bevor die Bergwacht hier erscheint.«
»Wer?« stieß Padenberg konsterniert hervor.
»Die Bergwacht.« Trenker, dem der Schreck Padenbergs wohl tat, grinste schadenfroh. »Die wurde nämlich ebenfalls alarmiert. Ich wundere mich eigentlich, daß ich noch nichts von ihr gesehen habe. Wahrscheinlich liegt das daran, daß sie bei ihrer Suche systematisch vorgehen. Das dauert dann länger, als wenn einer über den Daumen peilt, so wie ich.«
Carola und Padenberg rappelten sich auf. »Das ist doch lächerlich«, meinte Padenberg, und als er stand, fügte er hinzu: »Wir haben die nicht bestellt.«
Sarkastisch erwiderte Trenker: »Das ist meistens so, daß die, die in den Felswänden hängen oder unter Lawinen begraben liegen, die Bergwacht nicht bestellen. Um so weher tut den Angehörigen am Schluß die Rechnung.«
»Welche Rechnung?«
»Für den Einsatz der Bergwacht. Die ist nämlich nicht billig.«
Carola und Padenberg blickten einander an. Das kann ja noch lustig werden, dachte jeder spontan. Und Trenker fragte sich schadenfroh: Was mögen die jetzt denken? – Wahrscheinlich: ein paar teure Nummern.
Südtiroler sprechen deftig und denken auch so.
6
Trenkers Rückkehr ins Hotel wurde allseits mit der gebührenden Aufregung zur Kenntnis genommen. Man umringte ihn bereits, als er die Schier noch gar nicht abgenommen hatte, bestürmte ihn mit Fragen.
»Haben Sie sie gefunden?«
»Lebte sie noch?«
»In welchem Zustand?«
»In bestem, sagen Sie?«
»Wie denn das?«
»Das sollen wir uns von ihr selbst erzählen lassen?«
»Warum denn?«
»Warum nicht gleich von Ihnen?«
»Wann kommt sie denn?«
»Wo ist sie überhaupt?«
»Warum haben Sie sie nicht gleich mitgebracht?«
Und so weiter und so weiter …
Trenker wimmelte die Leute ab und ging mit Direktor Senden in dessen Büro. Als die Tür hinter den beiden zugefallen war, sagte Trenker: »Das war ein absolut blinder Alarm.«
»So?«
»Wo ist Kosten?«
Den hatte Trenker nämlich draußen in der Schar der Neugierigen als einzigen vermißt.
»Ich nehme an, er schläft noch«, antwortete Senden. »Sie wissen ja, was er sich in seiner Verzweiflung gestern noch hinter die Binde gegossen hat.«
»Die Verzweiflung war höchst überflüssig.«
»Wieso? Erzählen Sie.«
Trenker berichtete aber nur das Notwendigste. Die verfänglichen Dinge ließ er weg; er behielt sie für sich zu späterer Verwendung, wenn er mit Kosten sprechen würde. Dem mußte wohl reiner Wein eingeschenkt werden.
»Die ist also wohlauf?« fragte Senden noch einmal, als Trenker seinen Kurzbericht beendet
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