Und das Leben geht doch weiter
machte.
»Hallo!« drang eine Männerstimme dumpf herein. »Hallo!«
Carola war als erste aufgeschreckt. Sie rüttelte Detlev am Arm. Er brauchte etwas, bis er völlig wach war.
»Hallo!« rief es wieder.
Detlev legte den Finger auf die Lippen, Carola dadurch auffordernd, sich still zu verhalten. Das war natürlich unüberlegt, mehr noch: dumm. Schon wenig später mußte Detlev Padenberg über sich selbst den Kopf schütteln.
»Hallo, Fräulein Burghardt!«
Detlevs Finger lag immer noch auf den Lippen.
Das Rumoren an der Tür ließ nicht nach. Zu vermuten war, daß es von den Bemühungen eines Mannes herrührte, der den Schnee – oder wenigstens einen Teil desselben – von der Tür wegschaffte. Plötzlich waren diese Bemühungen von Erfolg gekrönt. Die Tür flog auf, und ein Berg Schnee stürzte ins Hütteninnere. Dahinter erschien eine Gestalt im Schianzug, die der Schneemasse auf ihrem Weg in die Hütte fast ebenso unaufgefordert und formlos und polternd folgte. Es war der Mann, der gerufen und keine Antwort erhalten hatte und daher mit dem Schlimmsten hatte rechnen müssen. Es überraschte ihn deshalb, daß er nicht auf die Leiche einer Erfrorenen stieß. Er fand sogar zwei Lebende, und das war eine noch größere Überraschung für ihn.
Alois Trenker starrte auf Carola Burghardt und Detlev Padenberg, die sich auf ihrem Strohlager aufgerichtet hatten. Daß dieses ein Lager der Liebe gewesen war, dafür gab's einige untrügliche Anzeichen. Das untrüglichste war Carolas Schlüpfer, der ein Plätzchen zwischen Detlev und der Wand gefunden hatte. In ihrer Verwirrung hatte Carola nicht mehr daran gedacht, als der Lärm an der Tür begonnen hatte.
Trenkers Gedanken, die ihm durch den Kopf gingen, ließen sich auf den einen Nenner bringen: Ich Idiot!
»Wer sind Sie?« fragte Padenberg barsch.
»Wer sind Sie?« fragte Trenker zurück.
»Mein Name ist Padenberg. Und der Ihre?«
»Trenker.«
»Was wollen Sie hier?«
Ich Riesenidiot, dachte Alois Trenker noch einmal, machte in Richtung Padenberg eine wegwerfende Handbewegung und wandte sich an Carola.
»Sie sind doch Fräulein Burghardt aus Hamburg?«
»Ja.«
Carola sprach auffallend leise und einsilbig. Sie hatte inzwischen Ihren Schlüpfer entdeckt und war sehr verlegen.
»Wissen Sie, was Sie angerichtet haben?« fuhr Trenker fort.
»Nein.«
»Nein. Können Sie sich das denn nicht denken?«
»Nein.«
»Man wird es Ihnen im Hotel erzählen, wenn Sie zurückkommen.«
Carola schwieg.
»Erkennen Sie die Klamotten, die ich anhabe?« fragte Alois weiter.
»Nein.«
»Könnten es nicht die Ihres – sagen wir einmal: Beschützers aus Hamburg sein?«
Carola blickte genauer hin.
»Doch«, erwiderte sie nickend.
»Sie gehören ihm. Ich habe sie mir, einschließlich Schier, ausgeliehen, um Sie suchen zu können. Das war gestern. Dann wartete ich bis weit nach Mitternacht auf Wetterbesserung. Endlich konnte ich raus. Ihr Beschützer war inzwischen längst besoffen. Um drei Uhr bin ich aufgebrochen. Jetzt ist es«, er schaute auf seine Armbanduhr, »zehn nach neun. Es war nicht einfach, Sie zu finden.«
Er machte eine kurze Pause, während der er, mit einem Blick auf den Schlüpfer, grinste.
»Aber wenigstens leben Sie noch.«
Alois Trenker hatte eine ungeheure Leistung vollbracht. Über sechs Stunden mit Schiern unterwegs im Tiefschnee, eine Kreuz-und-quer-Strecke von mehr als 20 Kilometern, meistens bergauf, Tonnen von Schnee vor den Türen zweier Schutzhütten und zweier Scheunen – das alles summierte sich zu einer Strapaze ohnegleichen. Doch über die sprach Alois Trenker mit keinem Wort, wenn man einmal davon absah, daß er gesagt hatte: »Es war nicht einfach, Sie zu finden.«
Das genügte.
Dabei waren neben den physischen Anstrengungen auch noch unwägbare psychische mit im Spiel gewesen:
Erstens die Angst um das eigene Schicksal. Er hätte sich in der Finsternis der ersten Stunden hoffnungslos verirren können; das Gelände war ihm unbekannt. Das Wetter hätte wieder umschlagen können. Lawinen drohten. Er hätte in Felsspalten, die vom Schnee zugeweht waren, stürzen können.
Zweitens wurde mit jedem Kilometer die Hoffnung geringer, daß sich das Ganze überhaupt lohnen würde, daß also noch eine Lebende aufzufinden wäre. Hundertmal hatte sich deshalb Trenker gesagt: Kehr um! Einmal hatte er es sogar getan, aber nach einem halben Kilometer Talfahrt hatte er sich wieder bergwärts gewandt.
Drittens sah er sich zuletzt auch noch um
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