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Und dennoch ist es Liebe

Und dennoch ist es Liebe

Titel: Und dennoch ist es Liebe Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jodi Picoult
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kann, warum. Ich beschließe, ihn aufmerksam zu beobachten. Zärtlich reibe ich ihm die pummeligen Unterarme und fühle ein zufriedenes Flattern in meinem Bauch. Ich kenne meinen eigenen Sohn , denke ich stolz. Ich kenne ihn gut genug, um selbst subtile Veränderungen zu bemerken.
*
    »Tut mir leid, dass ich nicht angerufen habe«, sage ich zu meinem Vater. »In letzter Zeit war alles ein wenig verrückt.«
    Mein Vater lacht. »Ich hatte dich dreizehn Jahre für mich allein, Liebes. Ich glaube, da hat deine Mutter sich drei Monate verdient.«
    Ich hatte meinem Vater Postkarten aus North Carolina geschrieben, genau wie Max. Ich hatte ihm von Donegal erzählt und von den Gerstenfeldern an den Hügeln. Ich habe ihm alles erzählt, was auf eine kleine Postkarte passte, meine Mutter habe ich nicht erwähnt.
    »Gerüchten zufolge«, sagt mein Vater, »hast du mit dem Feind geschlafen.« Ich zucke unwillkürlich zusammen. Zuerst glaube ich, er meint Nicholas, doch dann wird mir klar, dass er von meinem Einzug bei den Prescotts spricht.
    Ich schaue zu dem Fabergé-Ei auf dem Kaminsims und dem Karabiner aus dem Bürgerkrieg, der darüberhängt. »In der Not frisst der Teufel Fliegen«, sage ich.
    Ich wickele das Telefonkabel um meinen Knöchel und suche nach einem Weg, dieses Gespräch so schmerzfrei wie möglich zu führen. Aber es gibt so wenig, was ich sagen muss , und so viel, was ich sagen will . »Wo wir gerade von Gerüchten sprechen«, sage ich. »Ich habe gehört, dass Mom angerufen hat.«
    »Aye.«
    Mir bleibt der Mund offenstehen. »Das war’s? Aye? Einundzwanzig Jahre sind vergangen, und das ist alles, was du zu sagen hast?«
    »Ich habe das erwartet«, sagt mein Vater. »Ich habe mir schon gedacht, dass du das Glück hattest, sie zu finden, und früher oder später würde sie den Gefallen erwidern.«
    »Den Gefallen? « Ich schüttele den Kopf. »Ich dachte, du wolltest nichts mehr mit ihr zu tun haben. Hast du nicht gesagt, es sei zu spät?«
    Kurz schweigt mein Vater. »Paige«, sagt er dann, »wie hast du sie angetroffen?«
    Ich schließe die Augen und lasse mich auf die Ledercouch zurücksinken. Ich überlege mir meine nächsten Worte gut. Ich stelle mir meine Mutter so vor, wie es ihr gefallen würde: wie sie mit Donegal schneller als das Licht über die Weide galoppiert. »Sie war nicht, was ich erwartet habe«, sage ich stolz.
    Mein Vater lacht. »Das war May nie.«
    »Sie glaubt, dass Sie dich eines Tages wiedersehen wird«, füge ich hinzu.
    »Tut Sie das, ja?«, erwidert mein Vater, doch in Gedanken scheint er weit weg zu sein. Ich frage mich, ob er sie gerade so sieht wie damals, als er sie zum ersten Mal getroffen hat. Und ich frage mich, ob er sich noch an das Zittern in seiner Stimme erinnern kann, als er um ihre Hand angehalten hat, oder an das Funkeln in ihren Augen, als sie Ja gesagt hat, oder nur an den Schmerz in seinem Herzen, als ihm klar wurde, dass sie für immer gegangen war.
    Vielleicht bilde ich mir das ja nur ein, aber für den Bruchteil einer Sekunde nehme ich alles im Raum mit schier unglaublicher Klarheit wahr. Die kontrastreichen Farben des Orientteppichs werden noch kräftiger, und die riesigen Fenster funkeln wie die Augen des Teufels. Ich frage mich, ob ich all die Zeit zuvor jemals klar gesehen habe.
    »Dad«, flüstere ich, »ich will wieder zurückgehen.«
    »Bei Gott, Paige«, sagt mein Vater, »als wenn ich das nicht wüsste.«
*
    Elliot Saget ist mit meiner Galerie im Mass General zufrieden. Er ist so überzeugt davon, dass er irgend so einen humanitären ›Best-of-Boston‹-Preis gewinnen wird, dass er mir die Sterne vom Himmel verspricht. »Nun«, sage ich, »ich würde lieber Nicholas bei einer Operation zusehen.«
    Ich habe Nicholas noch nie wirklich seinen Job machen sehen. Ja, ich habe ihn mit seinen Patienten gesehen. Ich habe gesehen, wie er sie von ihrer Angst befreit und wie er ihnen mehr Verständnis entgegenbringt als seiner eigenen Familie. Aber ich will auch sehen, wofür seine ganze Ausbildung gut gewesen ist. Ich will sehen, was seine Hände zu leisten vermögen. Elliot schaut mich stirnrunzelnd an, als ich ihn darum bitte. »Das wird Ihnen nicht sonderlich gefallen«, sagt er. »Jede Menge Blut und Narben.«
    Aber ich bleibe hartnäckig. »Ich bin zäher, als ich aussehe«, erwidere ich.
    Und so wird heute Morgen kein neues Patientenbild an Nicholas’ Tür geheftet. Stattdessen sitze ich allein in der Galerie über dem Operationssaal und warte darauf,

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