Und dennoch ist es Liebe
aufbieten, damit Dechtires Hand den Sonnengott berühren kann, und als es so weit ist, zeichne ich wie wild und lösche Dechtires Porzellangesicht, den Leib ihres Manns und Lughs bronzenen Arm einfach aus. Ich zeichne Flammen, die alle Charaktere bedecken und Funken über Himmel und Erde schleudern. Ich zeichne ein Feuer, das sich selbst nährt und alle Luft aufsaugt. Auch mir selbst verschlägt es den Atem, und ich sehe, dass sich mein Bild in ein Inferno verwandelt hat. Ich werfe die glühenden Pastellkreiden durch den Raum: Rot und Gelb, Orange und Sienna. Traurig betrachte ich das zerstörte Bild von Dechtire und staune, dass ich das Offensichtliche bisher nie bemerkt habe: Wenn man mit dem Feuer spielt, dann verbrennt man sich die Finger.
In dieser Nacht schlafe ich nur unruhig, und als ich wieder aufwache, regnet es in Strömen. Ich setze mich im Bett auf und versuche, mich daran zu erinnern, was mich geweckt hat. Mir wird übel, und ich weiß, was es ist. Es ist wie dieses Gefühl, das ich auch schon bei Jake gehabt habe, als wir noch so eng miteinander verbunden waren. Dieses Gefühl, das von mir Besitz ergriff, wenn er nachts nach Hause kam, wenn er an mich dachte und wenn er mich brauchte.
Ich springe aus dem Bett und ziehe Hemd und Hose von gestern an. Socken suche ich erst gar nicht, sondern ziehe die Sneaker über die nackten Füße. Dann binde ich mir rasch das Haar zu einem Pferdeschwanz, und schließlich schnappe ich mir die Jacke vom Türknauf und laufe nach unten.
Als ich die Tür öffne, steht Nicholas vor mir im Eisregen. Hinter ihm, im gelb beleuchteten Inneren seines Wagens, sehe ich Max. Max ist seltsam still, sein Mund vor Schmerz verzerrt. Nicholas schließt bereits die Tür hinter mir und zieht mich in den Sturm hinaus. »Er ist krank«, sagt er. »Gehen wir.«
K APITEL 41
N ICHOLAS
Er schaut zu, wie Hände, die er nicht kennt, den Körper seines Sohnes untersuchen. John Dorset, der diensthabende Kinderarzt, steht neben Max. Jedes Mal, wenn er mit den Fingern Max’ Unterleib berührt, schreit das Baby vor Schmerz und rollt sich zu einem Ball zusammen. Das erinnert Nicholas an die Seeanemonen, mit denen er als Kind am Strand in der Karibik gespielt hat. Bei der kleinsten Berührung zogen sie sich um seinen Finger zusammen.
Max hatte gestern Nacht nicht einschlafen können, auch wenn das allein noch kein Grund zur Sorge war. Es war die Art, wie er alle halbe Stunde aufgewacht war und geschrien hatte, als würde man ihn foltern, und fette, klare Tränen waren ihm über das Gesicht gekullert. Und nichts hatte geholfen. Doch dann hatte Nicholas ihm die Windel gewechselt, und er wäre fast in Ohnmacht gefallen, als er das viele geronnene Blut gesehen hatte.
Paige zittert neben ihm. Sie hält seine Hand, seit man Max in die Notaufnahme gebracht hat. Nicholas spürt den Druck ihrer Fingernägel auf der Haut und ist dankbar dafür. Er braucht den Schmerz, um sich daran zu erinnern, dass das alles nicht nur ein Albtraum ist.
Max’ Kinderarzt, Jack Rourke, schenkt Nicholas ein warmes Lächeln und betritt den Untersuchungsraum. Nicholas beobachtet, wie die beiden Ärzte über seinem strampelnden Sohn die Köpfe zusammenstecken. Machtlos ballt er die Fäuste. Er will da rein. Er sollte da drin sein.
Schließlich kommt Jack wieder ins Wartezimmer zurück. Inzwischen ist es Morgen, und die Krankenschwestern der Tagschicht trudeln langsam ein und holen Bibo-Pflaster und Smiley-Sticker für ihre kleinen Patienten heraus. Nicholas war mit Jack in Harvard, doch nach dem Studium hatten sie kaum noch Kontakt, und plötzlich ärgert ihn das. Er hätte mit diesem Mann mindestens einmal die Woche zu Mittag essen sollen. Er hätte mit ihm über Max’ Gesundheit reden sollen, bevor es überhaupt so weit kommen konnte. Er hätte es selbst diagnostizieren müssen.
Er hätte es diagnostizieren müssen. Das ist es, was Nicholas mehr stört als alles andere. Wie kann er sich einen Arzt schimpfen und dann noch nicht einmal etwas so Simples wie eine Verhärtung im Unterleib bemerken? Wie hat er nur die Symptome übersehen können?
»Nicholas«, sagt Jack und schaut zu, wie sein Kollege Max hinsetzt, »ich habe eine ziemlich genaue Vorstellung davon, was das sein könnte.«
Paige beugt sich vor und greift sich den Ärmel von Jacks weißem Kittel. Ihre Berührung ist leicht, fast substanzlos wie von einem Geist. »Ist Max in Ordnung?«, fragt sie und schluckt ihre Tränen herunter. »Wird er wieder gesund
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