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Und dennoch

Und dennoch

Titel: Und dennoch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hildegard Hamm-Bruecher
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englisches Kirchenlied in die Hände, das ich seitdem in heiklen Situationen gelegentlich vor mich hin summte:
    Wag zu sein wie Daniel,
wage es, allein zu stehen,
wage es, ein Ziel zu haben,
wage es, und lass es sehen.
    Etwas zu wagen und »dennoch« zu sagen, das war der erste Schritt zu meiner Emanzipation. Zu dieser Zeit empfand ich die Reaktionen auf meine Vorstöße als sehr ernüchternd, oft waren es Rückschläge. So dauerte es nicht lange, bis aus dem anfangs so
unbeschwerten »Fräulein Stadtrat« eine immer wieder mal auch gefürchtete und angefeindete »Landtags-Emanze« wurde.
    Kam ich im Landtag nicht weiter, engagierte ich mich bürgerschaftlich und sozial, was mir den Ruf einer »Roten Hilde« einbrachte. Hilde Benjamin, die kommunistische Justizministerin in der DDR, wurde so genannt, weil rothaarig und gefürchtet wegen ihrer rabiaten Urteile. Sie war Inbegriff eines abstoßend wirkenden Mannweibs. Mit der Bezeichnung »Rote Hilde« wollte man mich nicht nur diffamieren, sondern politisch unschädlich machen. Der CSU-Abgeordnete Franz Elsen empfahl mir dann auch, Bayern so schnell wie möglich wieder zu verlassen. 1970 avancierte ich durch ein Verdikt von Franz Josef Strauß zur »Krampfhenne«, was mir allerdings Sympathie in der Bevölkerung und bei Wahlen viele zusätzliche Stimmen einbrachte. Zeitweise rutschte die CSU-Streitkultur weit unter die Gürtellinie. Als rühmliche Ausnahme erwies sich mein früherer Stadtratskollege Erwin Hamm, der mir unbeirrbar und mit einem wunderbaren Humor ausgestattet, unverbrüchlich Schützenhilfe leistete und mir ab 1956 für zweiundfünfzig Jahre auch die eheliche Treue hielt. Als ich einmal von Alfons Goppel, der von 1962 bis 1978 bayerischer Ministerpräsident war, als »Bissgurke« tituliert wurde, konterte mein Mann mit einem lakonischen »Die san ja nur neidisch« – und ließ seine CSU-Mitgliedschaft ruhen. Aus der Partei ist er erst im hohen Alter ausgetreten, als er die Ost- und Entspannungspolitik der sozialliberalen Regierung unter Willy Brandt und Walter Scheel öffentlich unterstützte und damit Ärger bekam.
    Ständig schnüffelte man in unserer CSU/FDP-Ehe herum, die offenbar die Gemüter immer wieder beschäftigte. Einmal wurde unsere Zugehfrau gefragt, ob wir denn überhaupt eine christliche Familie seien und ob bei uns zu Tisch gebetet würde. Sie antwortete, wie bald darauf in der Zeitung zu lesen war, dass sie das nicht wüsste, weil sie mittags nicht mehr da sei, aber ein christliches Haus sei das schon, denn der »Herr Doktor ist bei der CSU und die Frau Doktor geht in die Kirche«.

    Die mittlerweile im Grundgesetz garantierte Gleichberechtigung von Mann und Frau wurde vom Bayerischen Landtag jedenfalls abgelehnt, und viele Kollegen hatten den Artikel 3 Absatz 2 wohl auch gar nicht zur Kenntnis genommen. Bayern hatte ja als einziges Bundesland dem Grundgesetz nicht zugestimmt. Selbst um die Führung meines Doppelnamens musste ich damals noch kämpfen. Bayern war und blieb ein Männerland – fest in Männerhand.
    Folglich gab es für mich in den fünfziger und sechziger Jahren viel zu tun. Ich stellte fest, dass nicht nur Mädchen keine weiterführenden Bildungsmöglichkeiten hatten, sondern auch Frauen keine beruflichen Aufstiegschancen, insbesondere jene, die Kinder hatten. Bereits im Stadtrat hatte ich für alleinstehende Frauen gekämpft, damit sie eine eigene Wohnung bekamen, oder für die Aufnahme von Musikerinnen bei den Münchner Philharmonikern. Noch immer wurden Frauen weder in Partei- noch in Parlamentsämter berufen, allenfalls zur Dekoration oder als »Konzessionsfrauen«, nicht aber als ernst zu nehmende politische Partnerinnen. Die wenigen CSU-Kolleginnen im Landtag taten mir leid, aber nur ein bisschen. Sie kannten und konnten es noch nicht anders, hatten auch keinen Mut, sich eigenständig zu behaupten.
    Dank meiner Wahlerfolge wuchs im Laufe der Jahre mein Rückhalt in und außerhalb der Partei. Vor allem durch die Landtagswahlergebnisse 1962, 1966 und 1970, bei denen ich mit meinen persönlichen Zweitstimmen die männlichen Kandidaten überrundete, konnte ich meine Unabhängigkeit und Überzeugungskraft festigen: Ich wagte es wie Daniel im englischen Kirchenlied, allein zu stehen und meine Ziele sehen zu lassen. Meine gelegentlichen Befürchtungen, dass Männer vielleicht doch besser Politik machen konnten als Frauen, hatte ich längst überwunden. Ich war selbstbewusster geworden und sagte mir: »Ich kann es

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