Und dennoch
Sprünge helfen. Dazu gehörten die Einrichtung von Jugendclubs, die Förderung von
Frauenorganisationen sowie die Eröffnung von Amerika Häusern mit ihren überwältigenden Kulturangeboten. Die in Stuttgart geborene resolute Emigrantin Jella Lepman gründete nunmehr als Captain der US-Armee mit amerikanischen Stiftungsmitteln die Internationale Jugendbibliothek in München. Dabei wurde sie von Erich Kästner unterstützt, der eigens ein Buch zur Einweihung schrieb: Die Konferenz der Tiere . Bei der Eröffnungsveranstaltung las ich aus der Parabel über das Scheitern von Friedenskonferenzen. Erst die Tiere müssen in Erscheinung treten und die Menschen zwingen, einen »ewigen Friedensvertrag« zu unterzeichnen. Die Geschichte war ein echter Kästner. Die Bibliothek existiert noch heute und ist für mich gleichsam ein Wahrzeichen für amerikanische Hilfs- und Versöhnungsbereitschaft geblieben. Dazu gehörten auch die großzügigen CARE-Paket-Aktionen mit lange Zeit entbehrten Nahrungsmitteln und Gebrauchsgegenständen.
Das wohl Beständigste der Besatzungszeit waren für mich die persönlichen Vertrauensverhältnisse und Freundschaften, die nicht nur zwischen hohen US-Repräsentanten wie etwa John McCloy, Shepard Stone oder James B. Conant und deutschen Politikern wie Helmut Schmidt, Kurt Biedenkopf oder Otto Graf Lambsdorff entstanden, sondern auf allen Ebenen der Begegnung. Sie bildeten das Fundament für die Stabilität der späteren deutsch-amerikanischen Beziehungen, die alle politischen Krisen überdauerten. Meinungsverschiedenheiten schloss das nicht aus, aber die Basis stimmte.
An dieses Kapitel unserer Zeitgeschichte ist vor allem deshalb zu erinnern, weil diese Bindungen Grundstein des Atlantischen Bündnisses waren und sind, das wir in Europa nach 1945 lebensnotwenig brauchten. Heute werden solche Fundamente zwar gelegentlich noch beschworen, aber es fehlen die persönlichen Erfahrungen und freundschaftlichen Bindungen zwischen den politisch Handelnden.
Zur Versöhnungsbereitschaft der Amerikaner zählten ab 1948 auch die großzügigen Programme für Besuche und Stipendien in den Vereinigten Staaten; spätere Spitzenpolitiker wie
Helmut Schmidt oder Kurt Biedenkopf profitierten davon. Auch ich gehörte zu den jüngeren Politikerinnen, die diese Erfahrung machen durften.
Demokratie lernen in den USA
Ende August 1949 fuhr ich nach einem strengen Auswahlverfahren mit einem kleinen, nur mit Bindfäden verschnürten Koffer per Schiff nach New York. Mit dabei war der Berliner Stadtverordnete und spätere Regierende Bürgermeister Klaus Schütz. Die Freiheitsstatue grüßte verheißungsvoll, und es war wohl niemand unter uns, die ihr erwartungsfroher zuwinkte als ich. Welch ein Land, welch eine Gesellschaft und welch ein Optimismus – damals! Amerika hatte nicht allein aus militärischer Überlegenheit heraus gesiegt, sondern auch dank seiner politischen, gesellschaftlichen und freiheitlichen Überzeugungen. Die konnte ich nun kennenlernen, und zwar nicht nur während meines einjährigen Stipendiums an der Harvard University in Cambridge, Massachusetts, bei dem ich das Fach Political and Social Sciences belegte, sondern als »Fan« von Land und Leuten. Das hieß: Ich erfuhr Demokratie als Staatsform und Ideenlehre, aber weit mehr noch als Lebens- und Gestaltungsform vor Ort. Dazu verhalfen mir unvergessliche »Trips« mit den preiswerten Greyhound-Bussen. Alles war genau das Gegenteil von dem, was die Nazis uns Deutschen zwölf Jahre lang eingebläut hatten. Niemand gängelte oder beeinflusste mich. Überall war ich willkommen, bei Frauen- und Elternorganisationen, und ich nahm an Bürgerversammlungen teil, ja sogar an einem von Studenten organisierten Wahlkampf gegen den damaligen korrupten Bostoner Bürgermeister, der tatsächlich erfolgreich war. So begann ich, mich vielfältig demokratisch zu engagieren, selbst wenn es nicht immer erfolgreich endete. Auch das gehörte zu meinen demokratischen Erfahrungen.
Das Studienjahr an der Ostküste der USA war weitaus mehr als nur ein Crashkurs in Demokratie, es war eine Art Vorbereitung auf die Sisyphusaufgaben, die uns in unserem von antidemokratischen
Traditionen geprägten Deutschland bevorstanden. Ich lernte das komplizierte Räderwerk des amerikanischen Checks-and-Balances-Prinzips kennen, also die wechselseitige Kontrolle und Absprache staatlicher Verfassungsorgane, sowie das Credo von der strikten Gewaltentrennung zwischen Legislative und Exekutive.
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