Und der Herr sei ihnen gnädig
finden es ganz toll, dass Jan ihre Tochter so liberal erzogen hat, aber bei ihren eigenen Töchtern würden sie das ganz bestimmt nicht wollen, das kannst du mir glauben. Sie wären entsetzt.«
»Und noch entsetzter wären sie, wenn sie wüssten, dass du in Wirklichkeit gar nicht so liberal bist.«
»In sozialen Fragen schon.«
»Du bist ein Cop, Cynthia. Du handelst wie ein Cop, und du denkst auch so.«
»Ja, sicher. Ich hab nun mal ein großes Problem mit allen Menschen, die das Gesetz übertreten.«
»Was das betrifft, sind wir uns einig. Und deswegen suche ich auch nicht nach Entschuldigungen für das Verhalten dieser Idioten.«
»Mir geht es gar nicht darum, Entschuldigungen zu finden. Ich versuche bloß, das Ganze kritisch zu durchdenken. Sogar mein Dad, der dich wirklich mag... sogar er hat komisch reagiert, als er dich das erste Mal sah.«
»Deine Stiefmutter nicht.«
Ich zögerte einen Moment. »Versteh mich jetzt nicht falsch, das soll keine Kritik an Rina sein. Ich finde, meine Stiefmutter ist ein ganz wundervoller Mensch. Trotzdem zerfällt die Welt auch für sie in zwei Kategorien: Juden und Nicht Juden. Bist du Jude, gehörst du dazu, bist du keiner, bleibst du draußen. Du bist Jude, Koby, und deswegen gehörst du für sie dazu. Rina mag ja tatsächlich farbenblind sein, aber sie hat trotzdem ihre Maßstäbe. Sammy könnte ein noch so schönes, gescheites Mädchen mit nach Hause bringen, aber wenn sie keine Jüdin wäre, würden Köpfe rollen.« Ich schüttelte seufzend den Kopf.
»Es steckt in uns allen... dieses Einteilen in Gruppen. Für mich zerfällt die Welt in gesetzestreue Bürger und Verbrecher. Ich wette, sogar in deinem Arbeitsbereich, in dem ja absolut keine Unterschiede gemacht werden dürften, werden ständig solche Einteilungen getroffen. Oder willst du allen Ernstes behaupten, dass ein Siebzigjähriger dieselben Chancen hat wie ein Zwanzigjähriger, wenn es um die Vergabe einer Niere geht?«
»Wahrscheinlich nicht.« Er schaltete die Stereoanlage ein und drehte den Ton so laut, dass er mich nicht mehr hören musste.
Ich drehte den Ton zurück. »Ganz bestimmt nicht«, fuhr ich fort. »Junge Menschen werden vorgezogen, das weißt du ganz genau. Aber warum? Warum ist das eine Leben mehr wert als das andere? Mal angenommen, bei dem Siebzigjährigen handelte es sich um einen bekannten Krebsforscher, und der Zwanzigjährige hat das Down-Syndrom. Wer würde in dem Fall die Niere bekommen?«
»Ja, ja, du hast mal wieder bewiesen, dass du Recht hast, Cindy. Du solltest zusätzlich zu deinem Job als Cop eine Karriere als Anwältin starten. Auf diese Weise wärst du in der Lage, deine Selbstgerechtigkeit nämlich auch noch ganz offiziell vor Gericht zu verteidigen. Können wir jetzt bitte aufhören zu reden und ein bisschen Musik hören?« Er drehte wieder auf volle Lautstärke.
Ich lehnte mich zurück und starrte nach oben. Nachdem wir etwa eine Minute so gefahren waren, schaltete er die Musik plötzlich aus. Im Wagen herrschte angespannte Stille.
»Es tut mir Leid«, sagte er.
Ich legte meine Hand auf sein Knie und erklärte in leisem, beruhigendem Ton:
»Yaakov, diese beiden Jungs waren Idioten. Du weißt, wie ich über solche Scheißkerle denke. Ich war auch nicht besonders glücklich darüber, dass sie mich für eine Nutte hielten und dich für meinen Zuhälter, aber irgendein Teil von mir hat trotzdem Mitleid mit ihnen. Ihr Selbstwertgefühl muss ganz schön im Eimer sein. Anscheinend haben sie ein derart schlechtes Bild von sich, dass sie sich nicht vorstellen können, wie sich eine gesunde, gut aussehende weiße Frau in einen schwarzen Mann verlieben kann, der weder Profisportler noch Rapper, noch Filmstar, noch ihr Zuhälter ist. Für sie ist das so unvorstellbar wie eine blaue Sonne.«
Er schwieg eine Weile. Dann breitete sich ein Lächeln auf seinem Gesicht aus. »Du bist in mich verliebt?«
Ich starrte ihn verblüfft an. »Ahm... lass mich mal nachdenken. Ich verbringe jeden freien Moment mit dir, sowohl tagsüber als auch nachts.« Ich tippte an seine Schläfe. »Hallo!«
Er gab mir keine Antwort. Schließlich meinte er: »Ich sage jeden Morgen Sha'charit - Gebete zu Gott.«
»Ja, ich weiß.«
Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. »Zu diesen Gebeten gehört immer Shemoneh Esrei - die schweigende Hinwendung zu Gott. Man geht drei Schritte zurück, dann wieder drei Schritte vor und fängt an. Aber bevor man wieder nach vorne geht... hat man Gelegenheit für
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