Und der Herr sei ihnen gnädig
Ein paar Minuten reichen dafür wahrscheinlich nicht aus.«
»Wie du meinst. Ruf mich doch einfach morgen Abend an.«
Cindy war natürlich bewusst, dass ihr Vater sie gerade abblitzen ließ. Trotzdem sprach sie weiter, als würde sie es nicht bemerken: »Falls du Zeit hast, würde ich mich gern am Sonntag mit dir treffen. Meinst du, du könntest zu mir kommen?« Sie versuchte es mit einem schiefen Lächeln. »Ich mache dir sogar ein Frühstück.«
Deckers Miene blieb undurchdringlich. »Ich habe Hannah versprochen, mit ihr ins Kino zu gehen.«
»Um zwei Uhr ist auch noch mal eine Vorführung«, mischte sich Rina ein. »Bis dahin bist du bestimmt zurück.«
Decker warf seiner Frau einen strafenden Blick zu. Dabei hatte sie völlig Recht. Wenn er jetzt nicht einlenkte, würde er bekommen, was er verdiente. »Wenn es dir so wichtig ist, Cynthia... «
»Ja, irgendwie schon. Ich wäre dir wirklich sehr dankbar, wenn du mir helfen würdest.«
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Sicher, Liebes. Gegen neun?«
»Das wäre schön.«
»Hier, bitte.« Rina reichte ihr die Teelichter. Cindy dankte ihr und beließ es dabei.
14
Als ich ins Wohnzimmer zurückkam, saß Hannah neben Koby. Die beiden blätterten in einem riesigen Bildband mit dem Titel Solomons Volk. Das Buch war fast so groß wie Hannah, die in ihrem limonengrünen Kleid mit passender Jacke sehr hübsch aussah. Der Grünton brachte ihr rotes Haar wunderbar zur Geltung. Sie begriff offenbar schon sehr früh, mit welchen Tricks man als Karottenkopf arbeiten musste. »Was ist das?«, fragte ich.
»Ein Buch mit äthiopischen Juden«, antwortete Koby. »Ich kenne sogar ein paar von den Leuten.« »Wen?«, fragte Hannah.
»Diese Frau hier zum Beispiel. Sie war eine sehr gute Freundin meines älteren Bruders Yaphet. Sie hat einen Rabbi geheiratet und lebt irgendwo im Negev.«
»Sie ist schön.«
»O ja, sehr schön. Ich war schrecklich verliebt in sie. Leider wurden meine Gefühle nicht erwidert.«
»Dann ist sie aber dumm«, antwortete Hannah.
»Nein, ist sie nicht, aber trotzdem danke. Es hatte wohl mehr damit zu tun, dass sie siebzehn war und ich erst dreizehn, auch wenn ich sie damals schon fast an Größe überragte. Für einen Äthiopier bin ich sehr groß.«
Hannah starrte ihn an. »Ich dachte immer, alle Afrikaner wären groß.«
»Hannah!«, schalt ich sie.
»Kein Problem«, meinte Koby lächelnd. »Nein, es sind nicht alle Afrikaner groß, vor allem nicht die Nordafrikaner. Die meisten Äthiopier sind koptische Christen... und sehen eher aus wie Ägypter. Ich bin nur deswegen so groß, weil meine Eltern zufällig auch groß sind.« Er blickte zu mir hoch. »Soll ich dir die Kerzen abnehmen?«
Ich hatte ganz vergessen, dass ich sie noch in der Hand hielt. »Nicht nötig, ich stelle sie einfach neben die von Rina.«
Koby stand auf. »Ich glaube, du solltest jetzt besser deine Schuhe anziehen, Hannah.« »Was findest du zu diesem Kleid besser, Stiefel oder hohe Pumps?«, wollte sie von mir wissen.
»In welchen gehst du bequemer?«
»Egal«, antwortete sie achselzuckend und wandte sich an Koby. »Was meinst du?«
»Zu diesem Kleid gehören definitiv hohe Absätze.«
»Ich bin gleich wieder da!« Sie stürmte aus dem Zimmer.
»Sie mag dich«, stellte ich fest. »Du kannst gut mit Kindern umgehen.« »Ich arbeite mit Kindern.«
Ich schlug mir gegen die Stirn. »Ach ja... bin ich blöd!«
Koby sah mich an und machte eine Kopfbewegung in Richtung Küche. »Wie ist es da drin gelaufen?«
Ich zuckte betont lässig mit den Achseln. »Er spricht noch mit mir.«
»Ein gutes Zeichen. Ich mag deine Stiefmutter. Sie wirkt... authentisch. «
»Das ist sie auch.« In dem Moment erschienen meine beiden Stiefbrüder. Sammy war mittlerweile schon zwanzig, Jacob achtzehn. Sie waren große, gut aussehende Jungs. Beide trugen einen Anzug und hatten noch feuchtes Haar vom Duschen. Sie unterhielten sich gerade angeregt, verstummten aber, als sie mich entdeckten. Nachdem sie mich einen Moment lang angestarrt hatten, wechselten sie einen Blick und musterten mich dann noch einmal von unten bis oben.
Sammy versuchte ein Grinsen zu unterdrücken. Er reichte Koby die Hand. »Shabbat Shalom.«
Koby erwiderte seinen Gruß und schüttelte anschließend auch Jacob die Hand. »Shabbat Shalom.«
»Mein Vater hat gesagt, Sie seien Israeli.«
»Ja, aber bevor ich Israeli war, war ich Äthiopier.«
»Das sehe ich«, gab Sammy zurück. »Ein jüdischer
Weitere Kostenlose Bücher