Und der Herr sei ihnen gnädig
ersten richtigen Ausflug in die Zivilisation habe ich erst mit zwölf Jahren gemacht«, berichtete er. »Zu dem Zeitpunkt waren wir etwa ein halbes Jahr in Israel. Natürlich sprachen wir in der Schule Hebräisch, aber das Flüchtlingslager war rein äthiopisch, sodass wir mit den Älteren, denen das Hebräischlernen nicht so leicht fiel wie den Kindern, Amharisch sprachen.«
»Das kann ich gut verstehen.« Dad hatte gerade sein zweites Glas Wein geleert. Nichts entspannt so sehr wie Alkohol. Koby schenkte erst ihm und dann sich selbst nach.
»Der Wein ist ganz gut, oder?«
»Sehr gut«, pflichtete ihm mein Vater bei. »Sie bevorzugen Rotwein?«
»Ja, meistens.«
»Und wohin ging dieser erste Ausflug?«, erkundigte sich Sammy.
Koby lachte. »Mein Freund Reuven und ich wurden zwei achtzehnjährigen Jeschiwa- Jungs übergeben, die aus Itri oder Hakotel kamen, jedenfalls aus irgendeinem Teil von Jerusalem. Vormittags sollten wir Chumash lernen, der Nachmittag war für Spaß und Abenteuer vorgesehen. Der Vormittag war eine ziemliche Pleite. Das Hebräisch dieser Jungs war schlechter als das unsere. Vielleicht lag es auch an ihrem Akzent, auf jeden
Fall verstanden wir kein Wort! Immer wieder fragten wir: >Mah atem omrimf< - >Was sagt ihr?< Außerdem hatte in unserem Flüchtlingslager jemand einen Basketballkorb aufgehängt, sodass wir eigentlich nichts anderes im Kopf hatten, als Korbwürfe zu üben. Trotzdem schleppten sie uns nach dem Mittagessen zur Bushaltestelle, um uns zu unserem ersten Nachmittag in der Stadt zu begleiten. Reuven und ich waren noch nie mit einem richtigen Bus gefahren.«
»Ich kann mir schon vorstellen, wie das weitergeht«, erklärte Rina.
»Wir rasten den Mittelgang auf und ab, bis uns die Leute entnervt anschrien, was uns aber völlig egal war. Dann brachten uns die Jungs ins Kanyonit.« Er wandte sich an mich. »Das ist ein kleines Einkaufszentrum. Allerdings war es damals brandneu, und es gab noch keine Geschäfte, außer einem winzigen Laden, der goo-fiot verkaufte - T- Shirts. Das war's. So viel freier Platz, und nichts als T-Shirts. Ansonsten war das unterste Stockwerk des Einkaufszentrums völlig leer, abgesehen von den Rolltreppen... etwas, das wir noch nie gesehen hatten. Für uns war es eine Art Disneyland. Unzählige Male rannten wir die aufwärts führende Rolltreppe hinunter, und die abwärts führende hinauf, immer wieder, rauf und runter. Wir trieben diese Jungs fast in den Wahnsinn, denn eins dürft ihr mir glauben: Wir waren schnell. Ich war sogar schon mal bei einem Maccabi-Wettkampf mitgelaufen.«
»Cool!«, meinte Jacob.
»Wie hast du abgeschnitten?«, wollte Sammy wissen.
»So gut, dass mein Trainer mich fragte, ob ich mir vorstellen könne, irgendwann bei den Olympischen Spielen für Israel zu laufen. Aber das hätte endloses Training bedeutet. Dazu fehlte mir der nötige Ehrgeiz. Ohne den kann man so was gleich vergessen. Trotzdem bewegte ich mich ziemlich schnell, wie die Jeschiwa-Jungs feststellen konnten.«
»Diese armen weißen Jungs hatten gegen euch doch gar keine Chance«, erklärte Sammy.
»Tja, so ist das Leben.« Koby wandte sich an Rina. »Das Lamm schmeckt köstlich.« »Dann sollten Sie unbedingt eine zweite Portion essen«, antwortete Rina.
»Gern.« Koby nahm sich noch ein kleines Stück, ehe er weitererzählte: »Nach dem Rolltreppenfahren kamen sie auf die glorreiche Idee, mit uns zum Bowling zu gehen. Ein Stockwerk höher gab es eine Bowlingbahn und eine Snackbar. Wir rannten wie die Wilden quer über die Bahnen. Der Geschäftsführer schrie unsere Jungs auf Hebräisch an, woraufhin diese uns auf Englisch anbrüllten, was wir natürlich nicht verstanden. Und die paar Israelis dort schüttelten missbilligend den Kopf und sagten: >Ayzeh cbayoU ->diese Tiere<. Am Ende packten uns die Jungs am Hemdkragen -im wahrsten Sinne des Wortes. Dann fingen wir an, sie anzubetteln, uns etwas zu essen zu kaufen.« Er wandte sich an mich.
»Die Snackbar hatte kein teudat kashrut - ein Zertifikat, das ein Lokal als koscher ausweist -, und diese beiden religiösen Jungs wollten uns in einem Lokal ohne ein solches Zertifikat nichts kaufen. Wir bettelten und bettelten. Irgendwann gaben sie nach und holten uns eine Cola. Wir nervten sie weiter, bis sie uns schließlich eine Tüte Kartoffelchips brachten, auf die ein Koschersymbol aufgedruckt war. Während wir die Chips aßen, beobachtete ich, wie ein anderer Junge die Tüte aufblies und dann zum Platzen
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