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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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trat unter dem Vorwand, sich die berüchtigte Schrotflinte des alten Crowley ausleihen zu wollen, in die Hütte seiner neuen Verwandtschaft. Er brauchte bloß zu sagen: »Die Katzen kriegn schneller Junge als ich sie totprügeln kann«, und gesegnet mit einem Schlag auf die Schulter von seinem Schwiegervater, ging Ecker Abalon in eins der südlichen Felder und schoß sich aus beiden Läufen das Gesicht vom Kopf.
    Der alte Crowley löste das Rätsel der Leiche im Feld, als er die Schrotflinte als sein Eigentum erkannte. Begraben auf dem Friedhof am Fuß von Hooper’s Hill – Sarg und Kreuz wurden aus der Arbeiterkasse bezahlt –, hatte Ecker das Band der Ehe für immer zerschnitten.
    Ecker lag tot unter der Erde, doch kein Mitglied der Gemeinde war bereit gewesen, die Pflicht auf sich zu nehmen und die Ehefrau des Verblichenen zu informieren.
    Crow Jane saß Tag um Tag auf der Vorderveranda und harrte der Ankunft ihres Gatten; um die langen Stunden zu vertreiben, sprach sie ausgiebig ihren selbstgebrauten Schnäpsen zu, die sie hinter dem Schrotthaufen unter dem alten stillgelegten Wasserturm herstellte und in nicht etikettierte Flaschen füllte. Obwohl das Zeug selbst für den abgehärtetsten Säufer kaum genießbar war, gelang es Crow Jane doch hin und wieder, die eine oder andere Flasche davon zu verscherbeln, und zwar entweder an einen der Hobos, die sich in den äußeren Regionen des Tals herumtrieben, oder auch an einen Lastwagen voller betrunkener Zuckerrohrschneider, die zu versoffen waren, als daß ihnen so unbedeutende Hindernisse wie Trinkbarkeit auf dem Weg der Trunksucht etwas ausgemacht hätten.
    Beiläufig stellte die Witwe jedem Besucher die Frage: »Hast du Ecker Crowley heute gesehn?«, und die Männer schwankten und drucksten herum, während sie ihnen ein Pint abzapfte und auf Antwort wartete. »Nein, Ma’m, heute nicht«, erwiderten sie allesamt hinter zitternder Hand. »Nicht heute, Ma’m.« Und wenn sie auf den Laster zurückgeklettert waren und zur Maine Road rumpelten, brachen sie in schallendes Gelächter aus, wälzten sich auf der Ladefläche und kippten Schluck um Schluck das hochprozentige Brechmittel der Witwe in sich rein.
    Zwölf Jahre lang wartete die Witwe auf die Rückkehr ihres Mannes und trank sich dabei Tag und Nacht in den Wahnsinn.
    Mit der Zeit begann das Bild ihres saumseligen Partners zu verblassen, bis es am Ende nur mehr eine vage und abstrakte Vorstellung war, die wie ein Leichentuch über der zunehmenden Verblödung ihres Denkapparats lag.
    Und als dann Ezra – um ein Ohr vermindert und in einem Zustand akuten Deliriums – von dem Maultier, dessen Bauch und Hinterbeine von einem Strom getrockneten Blutes überkrustet waren, auf den Hof der Witwe getragen wurde, nahmen die Phantastereien und Verworrenheiten des vergangenen Jahrzehnts mit einemmal wieder feste Gestalt an. Es war, als hörte sie in tiefster Nacht eine große goldene Glocke läuten, und sie wußte, ihr Mann hatte sie gefunden.
     
    Ma Crow hat drei Destillen. Und damit brennt sie: White Jesus – Apple Jack – und Stew. Die Hobos nennen White Jesus – den sie aus Kartoffelschalen herstellt – Weißer Blitz, und die Zuckerarbeiter nennen das Zeug Eckers Tränen. Ma hat sich für White Jesus entschieden. Der Apple Jack heißt bei den Hobos Jack, bei den Zuckerarbeitern Witwenpisse oder Witwenwasser. Apple Jack ist das beliebteste Gebräu, denn es ist beinahe trinkbar. Im Gegensatz zu White Jesus wird Apple Jack bei Temperaturen unter Null fest. Stew heißt bei den Hobos meistens einfach Stew, aber einige der Älteren bringen es mit Mas Lieblingsgetränk durcheinander und nennen es fälschlich Stewed Jesus. Die Zuckerarbeiter nennen es Gesöff, Pisse, Spülwasser oder Scheiße; hergestellt wird es aus jeglichen fermentierbaren Abfällen. Dieses Gebräu ist nicht selten lebensgefährlich und wird billiger verkauft als die anderen.
VII
     
    Hört euch das an. Es ist die Wahrheit.
    Ich bin Zeuge für seine Glaubwürdigkeit.
    Es handelt von Pa.
    Glaubt mir, manch lange erstickte Stunde hab ich, blau vor angehaltenem Atem und in völliger Verwirrung, damit zugebracht, seine schrulligen Gewohnheiten zu beobachten.
    Ich will das mit Pa und seinen Fallen erklären. Nein. Eigentlich will ich versuchen zu erklären, was ich in diesen Tagen des Nachspionierens gesehen hab – es waren Tage, die unförmig aus dem schalen Wasser von Pas scheinbar träger Untätigkeit herausragten. Ich will erklären, was ich

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