Und die Eselin sah den Engel
kleinen Hände, die auf dem Rand des Wellblechtanks lagen, sich zu weißen Fäusten verkrampfen, sah auf seiner Stirn eine gequälte Ader pochen, sah seine scharfen kleinen Augen weit hervorquellen und nervös hin und her flattern.
VIII
Ihr Name war Cosey Mo.
Sie stand leicht zusammengesunken in der Tür ihres Wohnwagens.
Sie war sechsundzwanzig.
Bekleidet mit einem verschossenen rosa Unterrock, schimmerte sie leicht rosa und glänzte feucht, und drüben landete eine Libelle auf Euchrids Knie.
Ihre schlecht geschnittenen Zehennägel waren mit zahllosen Schichten roten Lacks bemalt. Sie schaukelte auf den Fersen, und ihre dünnen weißen, schlaff herabhängenden Arme schwangen leise vor und zurück.
Zu ihren Füßen, auf einer Stufe der Wohnwagentreppe, stand eine offene Kosmetikbox. Darin standen auf einer Lage bunter Wattebäusche vier winzige preußischblaue Glasfläschchen, die jeweils ein wenig Duftwasser enthielten.
Euchrid verhielt sich totenstill, sog lange und leise den Lavendelduft ein, als Cosey den Kristallstöpsel aus einem der Fläschchen zog und ihre Wangen mit dem Parfüm bespritzte. Ihren Nabel betupfte sie mit einem gelben Wattebausch.
Die Haut ihrer Arme war makellos, bis auf die Stellen, wo sie Nadeln hineinsteckte, um diese spröden Knochen zu zermürben, ihre Glieder zu schwächen und ihren himmlischen Körper in der bebenden Seidenhaut hin und her schwanken zu lassen. Das dünne Gewand spannte sich über all dem matten Leben, das es umhüllte.
Vorne befanden sich zehn Perlmuttknöpfe. Zwei oben und zwei unten standen offen. Der Saum flatterte in jedem sommerlichen Windstoß, und ihr Atem ging tief und hob ihr die Brüste.
Ihr Haar war lang und blond und hinten lose mit einigen bunten Nadeln zusammengesteckt, ihre Lider hingen schwer herab, und ihr schlaffer Mund bog sich um die Worte einer halb vergessenen Melodie:
»Ich fürcht das Dunkel nicht,
Wenn meine Flamme einst verlischt …«
Langsam sank die Sonne, und ein paar Bruchstücke ihres Liedes trieben hinter den Busch in Euchrids Ohren, und er lauschte der Musik ihres Atems, der mit kleinen Stößen im Rhythmus ihres glutvollen Wiegens ging.
Dann stieß sie ihren Körper leicht ab, schritt die Stufen hinunter, schirmte mit einer Hand ihre Augen und spähte über die Hügelstraße. Verfolgt von einer staubigen Spirale, rumpelte ein Lastwagen den Hang hoch auf sie zu. Euchrid lehnte sich zurück. Sein Herz stöhnte.
Cosey Mo machte auf den Fersen kehrt und stürzte in den Wohnwagen zurück.
Euchrid behielt die offene Tür im Auge, während der Motor immer lauter dröhnte.
Cosey trat in die Tür zurück und fing wieder mit ihrem Schaukeln an, genau wie vorher, nur diesmal ein wenig straffer, ein wenig bewußter, vor und zurück, vor und zurück, und Euchrid, schaudernd ob ihrer Schönheit, vermerkte mit dem pedantischen Blick des Voyeurs, daß oben nun drei Knöpfe offen standen.
Er sah ihren Mund. Jetzt mit einer dicken roten Schicht Lippenstift verschmiert.
»Und immer wandelst du neben mir …«
Euchrid stahl sich davon, den gleichen Weg hinunter, den er gekommen war, und als der Laster an ihm vorbeirappelte, kauerte er sich hinter einen Baumstumpf.
IX
Ich rechne so:
Daß um die Zeit, da der Mond über den Wipfeln der Bäume dort drüben aufscheint – das heißt also in etwa sechzig Minuten – meine Seele aus dieser Welt geschieden und nicht mehr in ihr geblieben sein wird. Und mein Leib, der eine Zeitlang in meinem Besitz gewesen ist und es gegenwärtig, da ich dies sage, noch immer ist, aus dieser Welt verschwunden und mit Fleisch und Knochen tief versunken sein wird.
Sechzig Minuten, das sage ich mit zumindest einem Quentchen Autorität, denn mit der Sonne als meinem Maßstab hab ich berechnet, daß ich bereits volle dreißig Minuten, in Erinnerungen versunken, auf diesem Morast liege, und jetzt fast zu einem Drittel untergegangen bin – ein Drittel jedenfalls, wenn man die allgemeine Vorstellung zugrundelegt, daß der menschliche Körper aus drei, nach Masse und Gewicht halbwegs gleich großen Teilen besteht – Kopf, Schultern und Arme; Oberleib; Lenden und Beine. Läßt man einmal die Vermutung außer acht, daß meine Sinkrate sich beschleunigen wird, da der Schlamm unter der Oberfläche schwerer wird und somit mehr Körpermasse hat, an der er ziehen kann, und läßt man, wie ich es bei beiden Berechnungen getan hab, die Annahme beiseite, daß die Sinkrate sich verlangsamen wird, da das noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher