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Und die Eselin sah den Engel

Und die Eselin sah den Engel

Titel: Und die Eselin sah den Engel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nick Cave
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als Joseph Ukulore nur ein Jahr später starb und dem Tal das Vermächtnis eines sicheren künftigen Wohlstands hinterließ. Aus: Vargus, Geschichte der Region (Stadtverwaltung Vargustone, 1922)
     
    Und so kam es, daß die Ukuliten an diesem Tag um ihren Propheten trauerten.
    »Heil dem Propheten, der jetzt im Himmel wohnt
    Verräter und Tyrannen bekämpfen ihn nun vergebens
    Seine Brüder er schützt, neben Gott er thront
    Und ist teilhaftig des ewigen Lebens«,
    sang Eliza Snow.
    Und Sardus Swift zog die Plane weg.
III
    Als Baby hab ich nie geschrien. Soll heißen, in meiner ganzen Zeit als Baby hab ich nicht einen einzigen Schrei ausgestoßen – keinen einzigen Piepser. Auch als Kind hab ich nicht rumgebrüllt, und als Jugendlicher behielt ich alle meine Gefühle für mich und ließ kein einziges Schluchzen lautwerden – denn alles andere hätte einen doch bloß allen möglichen Beschimpfungen ausgesetzt. Und jetzt, da ich die letzten Sekunden meines Erwachsenseins herunterzähle – da ich zum Toten werde – will ich nicht damit anfangen. Nein. In meinem ganzen Leben hab ich nicht geschrien. Keinen Ton. Nein, keinen Ton.
    Und als tapsendes Kleinkind hab ich mich immer sehr bemüht, Mummy nicht zwischen die Füße zu geraten. Sehr. Auch meinem Vater bin ich nie zur Last gefallen, wenn er am Arbeiten war – hab ihm keinen Schwall von dummen Fragen gestellt, auf die er ohnehin keine Antwort wußte.
    Ja, alles in allem genommen, war ich, wie man es auch betrachtet, in jeder Hinsicht ein vorbildliches Kind. Ja, das war ich.
    Auch war ich das einsamste Kind in der Geschichte der ganzen Welt. Und das ist kein eitles Gerede. Sondern eine Tatsache. Gott hat es mir gesagt.
    Mummy war eine Sau – eine dreckfotzige, versoffene, hirnamputierte Sau. Faul und träge und schmutzig und streitsüchtig und böse von Grund auf.
    Ma war ein Saufbold – eine Trinkerin –, eine verschnapste Höllenvettel mit einer Vorliebe für Selbstgebrannten.
    Mas Räusche verliefen zyklisch, Bewußtheit und Bewußtlosigkeit verfolgten einander wie zwei greuliche Schweine, die sich gegenseitig am Schwanz fraßen – schwarz, fett und unglaublich obszön das eine, grau und lärmend, mit kleinen, eng zusammenstehenden blutroten Augen das andere – und an diesem Kreislauf hielt sie mit aller Strenge fest.
    Wenn Ma bei Bewußtsein war, krümmte sich unsere kleine Hütte auf dem Hügel vor Entsetzen, denn – gewöhnlich am vierten Tag – unmittelbar bevor sie wieder in Bewußtlosigkeit versank – kam es unausweichlich zu einem Anfall von Zerstörungswut.
    Einmal aufgewacht, sprach Ma immer häufiger und ausgiebiger ihrer steinernen Flasche zu – nur aus diesem Gefäß nahm sie ihren Schnaps zu sich –, bis sie mit schwerer Schlagseite in der Hütte oder um den Schrotthaufen herumtorkelte oder, die Steinflasche an den mächtigen Busen gepreßt, in ihrem Sessel lümmelte. Hier soff und schwärmte und phantasierte sie von den Tagen ihrer Jugend, in denen die schmutzigen Hände von Schnaps und Männern sie noch nicht verdorben hätten. Und aus Tagen wurden Nächte und aus Nächten Tage.
    Wenn sie schließlich genug Fusel intus hatte, um eine ganze Armee aus den Latschen zu hauen, begann – und es kommt mir hoch, wenn ich nur daran denke – begann sie – diese gottverdammte widerliche Drecksau – begann sie mit immer wüsterem Gebell »Ten Green Bottles« zu singen. Bei der Stelle »… und geht eine grüne Flasche zu Bruch, gibt’s keine grünen Flaschen mehr …« lief sie schlichtweg Amok – ja, bekam einen derart hemmungslosen Tobsuchtsanfall, daß man in Reichweite ihres Prügels nicht mehr seines Lebens sicher war.
    Sobald Pa die ersten Töne von ›Ten Green Bottles‹ hörte, ließ er alles stehn und liegen und stürzte aus der Tür, und ich wackelte ihm nach und versteckte mich in einem umgekippten Gurkenfaß draußen hinter der Hütte. Wie sicher man sich darin fühlte, zusammengekauert, die Knie an die Brust gezogen; dazu der Essiggeruch, der noch in den Dauben hing, und die kuschlige Größe – manchmal, müßt ihr wissen, bin ich nur in dieses Faß gekrochen, um mich mal für eine Weile sicher zu fühlen. Im Innern des Fasses hörte ich sehr seltsame, konfuse Sachen – nicht von außerhalb, sondern von innen.
    Bis zum heutigen Tag ist es mir ein Rätsel, wie ich es geschafft hab, mein Dasein in jener Obstkiste zu überleben. Denn zu behaupten, ich sei ein geprügeltes Baby gewesen, wäre mehr als bloß ein bißchen richtig

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