Und die Großen lässt man laufen
verschwommene Bilder von üppigen Tafeln auf, deren Zubereitung und Bestandteile ihm böhmische Dörfer waren. Martin Beck steckte sich eine neue Zigarette an und dachte verwirrt an Seezunge Walewska und Kalbsfilet Oscar. Von Coeur de Filet Provencale gar nicht zu reden. Es gab noch etwas zu bedenken, was er bei seiner unüberlegten Einladung bedauerlicherweise nicht bedacht hatte. Er hatte noch nie drei Menschen mit einem derart ungeheuren Appetit gesehen wie seine heutigen Gäste.
Lennart Kollberg, sein Freund und engster Mitarbeiter, war sowohl Gourmet wie Gourmand. Das hatte Beck feststellen können, als er sich einige Male in die Kantine gewagt hatte. Schon Kollbergs Leibesfülle deutete auf ein starkes Interesse für Tafelfreuden hin. Von dieser Neigung hatte ihn nicht einmal ein häßlicher Messerstich in den Bauch heilen können, den er etwa ein Jahr zuvor erhalten hatte. Gun Kollberg besaß zwar nicht die Leibesfülle ihres Mannes, aber ihr Appetit war genauso groß. Und Äsa Toreil, die neuerdings seine Kollegin war, seitdem sie nach Absolvierung der Polizeischule dem Sittlichkeitsdezernat zugeteilt worden war, konnte man nur als weiblichen Gargantua bezeichnen.
Beck erinnerte sich noch sehr gut an die kleine, magere und spillerige Person vor eineinhalb Jahren, die damals ihren Mann verlor, Martin Becks jüngsten Kriminalassistenten, der in einem Stockholmer Bus von einem Massenmörder erschossen worden war. Jetzt war sie über das Schlimmste hinweg, hatte ihren Appetit wieder und war sogar etwas runder geworden. Sie mußte einen fabelhaften Stoffwechsel haben.
Martin Beck erwog, Äsa zu bitten, etwas früher zu kommen, damit sie ihm helfen konnte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Eine fleischige Faust donnerte an die Tür, die sich unmittelbar darauf öffnete, und Kollberg betrat das Zimmer. »Worüber denkst du denn nach?« fragte er und ließ sich in den Besuchersessel fallen, der unter seinem Gewicht bedenklich knackte. Niemand konnte ahnen, daß Kollberg mehr Tricks kannte und in der Kriminaltechnik besser Bescheid wußte als irgend jemand sonst im Polizeikorps.
Martin Beck nahm die Füße aus der Schublade und schob seinen Stuhl näher an den Schreibtisch. Er drückte sorgfältig die Zigarette aus, bevor er antwortete. »An diesen Mord in Hjorthagen«, log er.
»Ist etwas Neues herausgekommen?«
»Hast du den Obduktionsbefund gesehen? Da steht, daß der Bursche schon nach dem ersten Axthieb tot war. Er hatte eine ungewöhnlich dünne Schädeldecke.«
»Ja, ich habe ihn gelesen«, sagte Martin Beck.
»Wir müssen mal sehen, wann wir mit seiner Frau reden können«, sagte Kollberg. »Den Nachrichten aus dem Krankenhaus zufolge soll sie noch immer unter schwerer Schockeinwirkung stehen. Vielleicht hat sie Um sogar selbst umgebracht, wer weiß.« Er stand auf und ging ans Fenster, um es zu öffnen.
»Mach das Fenster wieder zu«, sagte Martin Beck.
Kollberg schloß das Fenster. »Wie hältst du das nur aus?« sagte er klagend. »Hier ist es ja heiß wie in einem Backofen.«
»Ich laß mich lieber braten als vergiften«, sagte Martin Beck philosophisch. Das südliche Polizeihaus lag direkt an der neuen Essingen-Schnellstraße, und wenn der Verkehr, wie jetzt zu Beginn der Ferienzeit, besonders stark war, konnte man deutlich riechen, wie abgasgeschwängert die Luft war.
»Wie du willst«, sagte Kollberg und schlurfte zur Tür. »Versuche jedenfalls, bis heute abend zu überleben. Du sagtest doch sieben?«
»Sieben Uhr, ja«, sagte Martin Beck.
»Ich habe schon jetzt Hunger«, sagte Kollberg herausfordernd.
»Wird mir eine Freude sein«, meinte Martin Beck, aber da hatte die Tür sich schon hinter Kollberg geschlossen. Kurz darauf begann das Telefon zu klingeln; es kamen Leute, die Papiere unterschrieben haben wollten, die Bericht erstatteten oder Fragen beantwortet haben wollten, und Beck mußte alle Gedanken an den abendlichen Speisezettel vorerst zurückstellen.
Viertel vor vier verließ er das Polizeihaus und nahm die U-Bahn nach Hötorgshallen. Dort kaufte er so ausgiebig ein, daß er schließlich ein Taxi nach Gamla Stan nehmen mußte, um mit seinen Vorbereitungen noch rechtzeitig fertig zu werden.
Um fünf vor sieben hatte er den Tisch gedeckt und blickte auf sein Werk: Matjeshering auf Dill mit saurer Sahne und Schnittlauch. Eine Schale Muränenrogen mit einem Kranz aus feingehackten Zwiebeln, Dill und Zitronenscheiben. Geräucherter Lachs in dünnen Scheiben auf zarten
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