Und ewig seid ihr mein
hatte Levy zwei Bücher gefunden, die er für den anstehenden Besuch der Ausstellung durchsehen wollte. Das eine war ein Buch, das den Streit um die Ausstellung dokumentierte, das andere ein Büchlein über die Demut des Menschen, geschrieben von dem RabbiMosche Chajim Luzzatto, der seine These unter anderem auf einen Spruch der Väter zurückführte: «Bedenke, woher du gekommen bist: aus verwestem Keim! Wohin du gehst: an einen Ort voller Staub, Maden und Würmer!»
Levy las weiter.
«Bedenkt der Mensch die Niedrigkeit seiner Herkunft, hat er keinen Grund zur Überhebung. Es kann ihn nur das Gefühl der Beschämung überkommen.
Und denkt er weiter, dass er zum Staub zurückkehrt und dort zum Fraß der Würmer wird, dann wird sein Stolz weiter gebeugt und sein Hochmut gedämpft.»
Doch zwischen Geburt und Tod passt ein Leben. Und dieses Leben war voll von Begehrlichkeiten, aber auch Ängsten und Trieben. Levy fragte sich, wie Anubis diese Spanne überwand. Wenn er sich zur Fraktion Gunther von Hagens’ zählte, so folgte er dessen Spruch: «Willst du ewig leben, musst du deinen Körper geben.» Die Ausstellung
Körperwelten
schien auf diesem Postulat zu gründen und die Vergänglichkeit im Staub überwinden zu wollen.
Als Levy die Halle betrat, kam es ihm vor, als tauchte er in lichtdurchflutetes Zwischenreich ein, wo Gott selbst an der Schönheit Adams und Evas arbeitete. Es war gar so, als beträte er Eden, von Palmen gesäumt und in der ewigen, andachtsvollen Ruhe der Schöpfung befriedet.
Nicht etwa, was man sich gemeinhin unter gespenstisch anmutenden, blassen und in trübem Alkohol eingelegten Leichenteilen einer gammeligen Anatomieabteilung vorstellte, erwartete ihn, sondern ästhetisch aufbereitete Kunstkörper, die ein Rembrandt oder ein da Vinci nicht besser hätte erschaffen können.
Jede Faser eines Muskels, jede Windung eines Gehirns und jeder Knochen waren bei den Exponaten erkennbar. Die Besucher – Frauen und Männer, Alt und Jung, Bauarbeiterund Philosoph – schienen ergriffen. Die einen in der Abwehrhaltung, dass die Exponate Gott und den natürlichen Verlauf eines Menschenlebens lästerten, bis hin zu den anderen, die sich aufmerksam und wissbegierig ein Bild ihres eigenen, wundervollen Körpers unter der Haut machen konnten.
Levy zählte sich selbst zu den Bewunderern dieser Arbeiten.
Obgleich er bei der einen oder anderen Darstellung einer schwangeren Frau mit Kind im offenen Bauch schlucken musste. Doch das war nur die erste, natürliche Reaktion auf etwas, was sonst fremd und unantastbar war.
Es waren nun gut zwei Jahre vergangen, seit er zum ersten Mal die Ausstellung besucht hatte. Sie hatte in Köln stattgefunden, und er war zufällig darauf gestoßen. Damals ahnte er noch nicht, dass eine Verbindung zwischen den Exponaten und den Opfern von Anubis bestehen könnte, genauso wenig wie Demandt und Michaelis. Doch seitdem sie die Spuren von Epoxydharz gefunden hatten, bekam diese Darstellung des menschlichen Körpers eine völlig neue Bedeutung. Die Exponate waren für die Ewigkeit gemacht, sie suchten die verborgene Schönheit des Menschen über seinen natürlichen Verfall hinaus zu transportieren.
Anubis musste diese Ausstellung gesehen haben, sagte sich Levy. Nur durch sie bekäme man eine Vorstellung von Ewigkeit. War es dieselbe, an der Anubis arbeitete?
Er wusste es nicht, und er war gespannt, wie Demandt es interpretierte. Ob er wohl Glück hatte und Michaelis und Demandt waren noch hier?
Levy fragte sich zur Ausstellungsleitung durch; wenn sie noch hier waren, dann wohl dort. Um etwas über den Kenntnisstand der beiden herauszufinden, half kein Versteckspiel. Er musste sie konfrontieren und so viel wie möglichvon ihnen erfahren. Das würde nicht leicht werden, denn auch Demandt merkte, wenn er ausgefragt wurde. Von der Michaelis ganz zu schweigen.
Hoch über den Exponaten, hinter großen Glasscheiben versteckt, lagen die Büros. Zu erreichen waren sie über eine offene Stahltreppe, die direkt vom Ausstellungsraum nach oben führte.
Als er dort angekommen war, war er erfreut zu sehen, dass Demandt sich im Gespräch mit einem Mann am Computer befand. Daneben wartete ungeduldig Michaelis. Levy ging den Gang weiter, der von Glasscheiben der einzelnen Büros gesäumt war. Hinter einer Garderobe nahm er Position ein und beobachtete.
Allem Anschein nach zierte sich der Mann am Computer, Daten über die Mitarbeiter freizugeben. Die Glastür wurde von einer Frau
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