Und ewig seid ihr mein
schon denken, woher dieser Meinungswandel kam. Demandt und Michaelis suchten nach einem Sündenbock. «In der kurzen Zeit, die mir zur Verfügung stand, habe ich getan, was möglich war.»
«Darüber gibt es unterschiedliche Auffassungen. Also, was willst du?»
«Wie weit seid ihr mit den Ermittlungen in Sachen Ausbildung zum Präparator?»
Alexej zögerte.
«Komm, jetzt lass dich nicht schon wieder bitten», beteuerte Levy. «Ich knie vor dir.»
Wieder gab Alexej nach. «Luansi, Falk und Naima überprüfen die Datenbanken der Schulen und sprechen mit den Direktoren, ob es auffällige Teilnehmer in den letzten Jahren gegeben hat.»
«Gibt es schon ein Ergebnis?»
«Nichts Konkretes.»
«Was heißt das?»
«Dass die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen sind. Aber ich kann mir schon denken, was du meinst. Nein, es gibt noch keinen Verdächtigen. Es sind Hunderte in unterschiedlichen Jahrgängen, deren Adressen und Arbeitsplätze erst mal recherchiert werden müssen. Danach werden sie von Falk und Naima befragt. Das kann noch Wochen dauern, bis sie alle durchhaben.»
Das hatte Levy erwartet. «Und sonst? Gibt es etwas Neues zu den vier Opfern?»
«Zu den drei Opfern», berichtigte Alexej. «Der Junge ist aufgetaucht.»
Das war eine überraschende Nachricht. Levy war konsterniert. «Wie … der Junge hat überlebt?»
«Schwer verletzt. Er wurde mit einer Schädelfraktur in ein Krankenhaus in der Nähe der holländischen Grenze eingeliefert. Naima war bereits vor Ort. Der Junge ist leider nicht ansprechbar. Er liegt im Koma.»
In Levys Kopf ging es drunter und drüber. Anubis hatte den Jungen laufen lassen. Das könnte seine Theorie von der Familie völlig über den Haufen werfen. Aber dennoch, sagte er sich, Anubis hatte ihn ausgewählt. Was ihn aberdazu veranlasst hatte, den Jungen zu verschonen, blieb rätselhaft. Vielleicht war es der falsche, vielleicht war Anubis gestört worden. Nein, seine Familientheorie hatte weiter Bestand. Es musste jedoch etwas vorgefallen sein, was Anubis dazu gebracht hatte, den Plan kurzfristig zu ändern. Levy ging nicht weiter auf diese Information ein. Er wollte Alexej und damit Demandt und Michaelis nicht auf die Spur setzen, die er letzte Nacht entdeckt hatte. «Was machen Demandt und Michaelis?»
Alexej zierte sich. «Sie sind in geheimer Mission unterwegs.»
«Na, komm, sag schon. Wo sind sie hin?»
«Sie überprüfen eine andere Spur.»
Also doch. Levy musste wissen, wonach die beiden suchten. «Jetzt lass dir doch nicht jede einzelne Information aus der Nase ziehen.»
«Das geht dich überhaupt nichts mehr an, Levy. Du bist aus dem Fall raus. Mach mir und dir das Leben nicht noch schwerer.»
«Alexej, bitte.»
«Sie sind nach Berlin gereist.»
Berlin? Was wollten sie dort? «Ja, und?»
«Dort findet eine Ausstellung statt.»
Wie ein Blitz schlug die Antwort ein. Doch er wollte sichergehen. «Es geht um die
Körperwelten
, nicht wahr?»
Jetzt war es Alexej, der überrascht war. «Ja … woher weißt du das?»
«Dazu gehört nicht viel Kombinationsgabe. Auch ich habe schon daran gedacht, dahin zu fahren. Aber leider bin ich noch nicht dazu gekommen. Wieso sind sie denn nicht nach Heidelberg, wo sich die Zentrale der Ausstellungsmacher befindet?»
«Weil alle, die etwas über Präparation, ehemalige und aktuelleMitarbeiter und was sonst in der Szene los ist, wissen könnten, zurzeit entweder in Berlin oder in Japan und Amerika sind, wo die nächsten Ausstellungen stattfinden.»
«Mit wem sprechen sie?»
«Mit einem langjährigen Mitarbeiter. Der musste sich aber erst das Plazet seines Chefs in Japan abholen.»
Levy musste reagieren. Das war eine heiße Spur. Er spürte es genau. Er musste dorthin und rausbekommen, was Demandt und die Michaelis in Erfahrung bringen würden.
«Danke, Alexej», verabschiedete sich Levy. «Du hast was gut bei mir.»
Eine Stunde später saß er im Intercity nach Berlin.
6
«Staub bist du, und zu Staub wirst du zurückkehren.»
So lautete Gottes Urteil über Adam.
Auf der eineinhalbstündigen Zugfahrt zwischen Hamburg und Berlin hatte Levy genügend Zeit, sich auf die Ausstellung
Körperwelten
des in Deutschland umstrittenen Gunther von Hagens vorzubereiten. Im Ausland sah man die Ausstellung um plastinierte menschliche Exponate weniger kontrovers. Es hatte den Anschein, dass dort Neugier und Aufgeschlossenheit überwogen und der moralische Diskurs ein eher deutsches Phänomen war.
In der Bahnhofsbuchhandlung
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