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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Jörg
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über sein Gesicht, sie gibt ihm einen Schluck zu trinken. Sie holt einen Stuhl und setzt sich neben ihn. Sie versucht, ihn nicht zu erschrecken, spricht ihn ganz vorsichtig an: »Wo wohnen deine Eltern? Wir müssen sie benachrichtigen.«
    Ronni strengt sich an. Wo wohnen seine Eltern? In Valparaíso? Wieder jagen Bilder durch seinen Kopf, sie bringen alles durcheinander, sie zerbrechen die Gedanken. Ein toter Fisch, das Meer, die weiße katholische Kirche, Soldaten, sein kleiner Freund Juan. Juan weint, dann lacht er und lacht und hört nicht mehr auf. Das sind nicht die richtigen Bilder, das sind die von früher. Erschöpft sucht er nach anderen. Aber andere Bilder kommen nicht.
    Die Schwester fragt noch einmal, sehr sanft: »Wo wohnst du?«
    Ronni überlegt. Schließlich antwortet er: »Ich weiß nicht.«
    Die Schwester sagt nichts mehr. Sie bleibt aber sitzen. Ronni ist froh. Sie kann ihm helfen, wenn die Fratzen wieder groß werden. Endlich findet er Schlaf.
    Er träumt von einem Irrgarten, von Spiegeln und von Scheiben. Ein Apfelbaum blüht. Er streckt die Hand nach einem Zweig aus und stößt an Glas. Er bückt sich zu einem Hund hinunter, um ihn zu streicheln, aber er berührt einen kalten Spiegel. Irgendwann ist er plötzlich im Freien und springt wie ein aufgescheuchtes Tier davon.
    Als Ronni aufwacht, sieht er direkt in Sandras Augen. Dünn und blaß steht sie neben seinem Bett und schaut ihn an. Er ist nicht mal überrascht. Er bemüht sich zu lächeln. Es geht nicht so leicht. Der Mund ist ganz trocken, der Kopf dröhnt und glüht. Er versucht sich zu erinnern, sieht an seinen Armen herunter. Da ist der Verband, auf der anderen Seite die Infusion. Warum schmerzt der Kopf nur so?
    Er nimmt alle Kräfte zusammen und spricht gegen den tobenden Schmerz an: »Du bist da - schön!« Es ist der längste Satz, den er, seit er im Krankenhaus ist, herausgebracht hat.
    Sandras Mund lächelt, aber ihre Augen bleiben ernst. Ihn dort liegen zu sehen, in diesem kahlen weißen Bett, ist schlimm. Seine Augen stechen wie aus zwei Höhlen hervor, die Wangen sind eingefallen, das ganze Gesicht noch kleiner als sonst; auf der Stirn die blutverkrusteten Schrammen und das Krankenhausnachthemd - ein erbärmlicher Anblick.
    Man merkt ihm die Anstrengung an, nicht wieder wegzugleiten in den Schlaf. Sandra könnte etwas sagen. Aber sie fürchtet, daß Worte zu schwer sind, daß allein das Zuhören ihn zuviel Kraft kostet.
    Sandra fühlt, daß Stille jetzt besser ist. Zum erstenmal, seit sie sich so sehr für Ronni interessiert, denkt sie nicht daran, wie sie wohl auf ihn wirkt und was er wohl denkt. Sie ist einfach da und sieht ihn mit ihren ernsten Augen an.
    Zwei Schwestern kommen ins Zimmer. Erfreut wenden sie sich an Sandra.
    »Ah, du bist schon da. Ich bin Schwester Gisela.«
    »Und ich bin Schwester Heike.«
    Sie begrüßen Sandra mit Handschlag, als hätten sie schon lange auf sie gewartet.
    Dann steckt Schwester Heike Ronni das Fieberthermometer unter den Arm und fühlt seinen Puls. Schwester Gisela stellt unterdessen das Kopfteil des Bettes etwas höher, so daß Ronni besser sehen kann. Freundlich und mit sicheren Griffen erledigen die Schwestern ihre Arbeit und sind schon wieder an der Tür. Bevor sie gehen, drehen sie sich noch einmal zu Sandra um: »Ach, ja -«
    »Kommst du nachher ins Stationszimmer?«
    Sandra nickt.
    Sie bleibt noch eine ganze Weile ruhig neben Ronnis Bett stehen, einfach so. Schließlich macht sie einen Schritt auf Ronni zu: »Du, ich muß dann gehen. Ich komm sowieso schon zu spät zur Schule.«
    Ronnis Antwort ist ein kaum hörbares »Hmm«. Aber dann sagt er doch noch etwas: »Komm wieder!« Sandra strahlt: »Ja, ich komme gerne wieder.«

    In dem kleinen Stationszimmer sind nicht nur die Schwestern, auch ein Arzt ist da. Sie besprechen, welche Medikamente die verschiedenen Patienten bekommen sollen. Als der Arzt Sandra in der offenen Tür stehen sieht, winkt er sie herein. »Grüß dich, Sandra, mein Name ist Melchior.« Doch bevor er weitersprechen kann, muß Sandra erst etwas wissen:
    »Ist es sehr ernst?«
    Dr. Melchior wirkt übernächtigt. Er antwortet nicht gleich, nimmt einen kräftigen Schluck Kaffee aus einer großen Henkeltasse. Schließlich atmet er tief durch: »Ja, heute nacht haben wir uns Sorgen gemacht. Er hatte sehr viel Blut verloren. Aber jetzt ist er über den Berg.«
    »Und was ist eigentlich passiert?«
    Der Arzt zuckt mit den Schultern. »Das wüßten wir auch gerne

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