Und Freunde werden wir doch
zu Hause. Sandra muß nun dringend loswerden, was ihr in den letzten Stunden alles zugestoßen ist. Sie läßt sich in einen Sessel fallen und redet drauflos. In allen Einzelheiten beschreibt sie, was passiert ist.
Frau Voss ist betroffen, aber sie reagiert ganz praktisch: »Da muß jetzt wohl einiges geregelt werden. Als erstes rufen wir in der Schule an und melden Ronni krank.«
Und das tut Frau Voss auch gleich. Sie spricht mit dem Rektor, ein langes Gespräch. Sandra stellt unterdessen fest, daß sie nun doch großen Hunger hat, und sie genehmigt sich einen von den gebackenen Pfannkuchen. Bei Hannas Mutter darf sie das.
Als Frau Voss auflegt, ist der Pfannkuchen bereits ganz in Sandras Mund verschwunden. »Es war gut, mal etwas länger mit dem Rektor zu reden«, sagt Frau Voss.
»Wer weiß, wofür wir ihn noch brauchen.« Sandra nickt. Sie muß erst einmal runterschlucken.
Es klingelt. Das wird Hanna sein. Sandra drückt auf den Summer und läuft ihrer Freundin entgegen. »Hanna, Pfannkuchen gibt’s, herrlich!«
»Hast du den ganzen Morgen hier auf die gewartet, oder wie?«
»Nee, komm erst mal rein. Das erklär ich dir gleich.«
»In der Schule ist schon gemunkelt worden: Sandra fehlt, Ronni fehlt...«
Sandra wird weder rot noch fühlt sie sich ertappt. Ganz selbstverständlich antwortet sie: »Ja, wegen Ronni habe ich die Schule geschwänzt.«
Hanna staunt: So kennt sie Sandra gar nicht, so selbstbewußt und offen.
Beim Mittagessen, nachdem auch Hanna über alles informiert ist, besprechen die drei, was sie nun machen wollen: »Da werden wir unser Südamerika-Fest wohl verschieben müssen.« Frau Voss legt ihre Stirn in Falten: »Jetzt habe ich schon alle eingeladen. Aber jetzt ist es ja noch wichtiger, daß die Familie Ramirez dabei ist, auch Ronni!«
»Ja, das finde ich auch!« Mit fester Stimme pflichtet Sandra Frau Voss bei und wendet sich gleich an Hanna: »Morgen gehe ich wieder ins Krankenhaus. Kommst du mit?«
Hanna zögert. »Ach, vielleicht lieber erst, wenn es ihm etwas bessergeht. Du kannst mir dann ja berichten!«
Als Sandra wieder nach Hause kommt, ist ihre Mutter vom Friseur zurück: »Sandra, da bist du ja endlich! Nun erzähl mal, was war im Krankenhaus?«
»Ja, Mama, gleich.« Sandra holt Mucki aus dem Stall und setzt sich mit ihm zusammen auf die Couch. Sie könnte auf der Stelle einschlafen, so erschöpft fühlt sie sich. Statt dessen beginnt sie - zum drittenmal nun -zu erzählen, was mit Ronni los ist.
Dreimal mußte Sandra heute erklären, was geschehen ist, dreimal hat sie es anders beschrieben: Bei Marie hat sie stark untertrieben, beschönigt. Bei Frau Voss hat sie ziemlich genau erzählt, was sie erlebt und erfahren hat. Und vor ihrer Mutter schmückt Sandra nun Ronnis Unfall mit Details aus, die viel Phantasie verraten:
»Der Junge hatte Angst, seine Eltern könnten einen furchtbaren Schreck kriegen, wenn die Polizei vor der Tür steht. Deshalb sollte ich als Klassensprecherin es ihnen sagen.«
Frau Körner unterbricht ihre Tochter: »Hast du das denn schon gemacht?«
»Ja, ich bin dann gleich zu seiner Mutter gegangen. Sie war schon ganz verzweifelt.«
»Das kann ich mir vorstellen!«
Während Frau Körner den Korb mit Bügelwäsche holt, läßt Sandra Mucki etwas herumhoppeln. Wenn sie dabei ist und aufpaßt, daß er keine Drähte anknabbert, darf er das. Frau Körner stellt das Bügelbrett im Wohnzimmer auf. Sie möchte mehr wissen von der Familie aus Südamerika, und Sandra beginnt ganz vorsichtig, sich der Wahrheit zu nähern.
»Die mußten aus Chile flüchten. In Chile herrschte Diktatur. Menschen, die sich dagegen auflehnten, wurden verfolgt und getötet.«
Frau Körner sieht ihre Tochter mit großen Augen an: »Das ist ja furchtbar! Und was machen sie nun?« Sandra stockt einen Moment lang. Dann sagt sie: »Der Vater hat Arbeit bei Siemens gefunden. Aber ich glaube, es geht ihnen nicht so gut. Sie haben Heimweh nach Chile.«
»Spricht der Junge denn Deutsch?«
»Ja, schon. Er hat noch zwei Brüder. Der kleinere hat perfekt Deutsch gelernt, der größere spricht mittelmäßig. Und Ronni, der aus meiner Klasse, ist eigentlich ganz gut. Aber Frau Wimmer läßt trotzdem kein gutes Haar an ihm. Ich glaube, die hat was gegen Flüchtlinge. Für die ist jeder A..., jeder Ausländer ein Schmarotzer, egal wie arm er dran ist.«
Mit dieser Äußerung hat Sandra sich ganz schön weit vorgewagt. Aus dem Augenwinkel beobachtet sie die Mutter, versucht deren
Weitere Kostenlose Bücher