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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Jörg
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schwimmt alles durcheinander, baut sich zu einer riesigen Woge auf, um ihn fortzureißen.
    Der Arzt fragt nicht weiter, er bleibt einfach sitzen, hält Ronnis Hand und wartet. Ronni sieht an der Decke neue Gestalten. Eine Fratze glotzt ihn an, große glupschige Augen, schiefer Mund, riesige Ohren. Ronni starrt die Fratze an, und die Fratze starrt zu ihm herunter. Aber dann, obwohl es ihn ängstigt, so begafft zu werden, schließt Ronni doch die Augen.
    Er schläft nicht. In seinen Ohren rauscht es. Er hat das Gefühl, das Gleichgewicht zu verlieren, zu fallen. Seine Hand drückt die des Arztes. Der Arzt spricht beruhigend auf ihn ein.
    Offenbar hat er doch geschlafen. Als er die Augen aufschlägt, hängt eine neue Infusionsflasche am Tropf. Der Arzt ist weg. Ronni versucht, sich aufzusetzen, aber er sinkt wieder in die Kissen zurück. Immerhin fühlt er sich etwas besser als vorhin. Die Gesichter an der Decke sind verschwunden. Nichts als eine weißgekalkte Wand. Ronni wundert sich, was er da alles hineinphantasiert hat. Der Arm tut ihm weh. Die rechte Hand ist verbunden, der Arm auch, bis zum Ellbogen. An der anderen Hand ist die Infusionsnadel befestigt. Er liegt da und kann sich kaum rühren.
    Alles ist einfach und überschaubar. Er liegt im Krankenhaus. Der Arzt ist nett, die Schwestern sind freundlich. Sie wissen, was zu tun ist. Sie entscheiden für ihn, sie nehmen ihm alles ab, sogar gefüttert wird er. Die Situation ist durchaus nicht unerträglich.
    Der Arzt möchte wissen, wie es geschehen ist. Vielleicht kann er es ihm erklären, morgen oder übermorgen, wenn er sich stärker fühlt. Er war unterwegs, wie so oft, irgendwohin. Es ging ihm nicht gut. Er war bedrückt und wußte niemanden, der ihn hätte aufmuntern können. Er war allein.
    Bei »Radio Rahm« lief der Fernseher. Er stand da und sah zu. Erst kam Werbung, dann irgendein Ratespiel. Er muß wohl lange dagestanden und immerzu in dieses Gerät gestarrt haben. Er kann sich auch noch an Teile eines Westerns erinnern, schöne Bilder, alles ohne Ton. Irgendwann kam dieser Zeichentrickfilm, in dem alle Gemeinheiten so lustig sind, und danach gab es Nachrichten. Da hat er mit einemmal zugeschlagen, einfach mit voller Wucht in die Scheibe von »Radio Rahm« hineingeschlagen.
    Er hatte nicht gewußt, daß er so eine Kraft besaß. Er hatte nicht vorgehabt, das zu tun, überhaupt nicht, es kam plötzlich mit einer unglaublichen Macht aus ihm heraus, es war eine ungeheure Wut, die da explodierte. Er brachte tatsächlich diese Scheibe zum Klirren.
    Vorher war er in der Straße allein gewesen. Dann kamen von überall her Leute gerannt. Sie gafften, manche schrien und kreischten. Ein Mann sagte: »Das geschieht dem recht!« Eine Frau schimpfte auf den Mann ein: »Und wenn es Ihrer wäre?« Frau Rahm stürzte heraus und beugte sich über ihn. Herr Rahm lief immerzu auf und ab und jammerte. Einer sagte: »Das hat er mit Absicht gemacht, ein übler Rowdy ist das.« Ein anderer rief: »Quatsch, der ist da reingefallen, das sieht man doch ganz deutlich.«
    Er lag auf dem Gehweg und sah das Blut nicht, das in hellem Rot aus seinen Adern strömte. Er spürte nur eine merkwürdige Wärme, erst an der Hand, dann an der ganzen rechten Seite, und dann schwanden ihm die Sinne.
    Der Notarzt versorgte ihn an Ort und Stelle. Noch auf der Straße vor »Radio Rahm« erlangte er das Bewußtsein wieder, über ihm baumelte ein Flasche mit dunkelroter Flüssigkeit. Zwei Männer in weißen Kitteln betteten ihn auf eine Bahre und schoben ihn in das rote Auto. Mit Blaulicht und Sirenengekreisch fuhren sie davon. Und dann war es erst einmal lange Nacht. Wie er in das Krankenhaus keim, in dieses Zimmer, wo das Krankenhaus überhaupt liegt, er weiß es nicht. Es ist auch nicht wichtig. Wichtig ist jetzt eigentlich gar nichts. Vielleicht ist wichtig, daß die Fratzen an der Wand nicht mehr kommen. Er soll sich nicht aufregen, hat die Schwester gesagt, er soll ruhig bleiben, dann wird alles besser.
    Doch da sind sie schon. Riesige grauenvolle Köpfe. Sie strecken ihre Krallen nach ihm aus, sie recken fleischige Arme herunter und zeigen auf ihn. Sie lachen furchtbar. Sie kommen immer näher.
    Ronni schreit auf. Er schwitzt und zittert. Er versucht sich zu erinnern, wo der Klingelknopf für die Schwester ist. Der Klingelknopf liegt neben seiner linken Hand, aber er sieht ihn nicht.
    Ungerufen kommt die Schwester. Sie bringt ihm ein neues Kopfkissen, sie fährt mit einem feuchten Waschlappen

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