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Und Freunde werden wir doch

Und Freunde werden wir doch

Titel: Und Freunde werden wir doch Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Jörg
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aus Alpträumen erwachen. Dabei haben diese Menschen keine Verbrechen begangen, sie haben nur das Pech, in einem Land zu leben, in dem Recht und Gesetz nichts wert sind. Das hat auch Herr Ramirez erleben müssen. Er hat Schlimmes hinter sich.«
    Frau Müller gibt sich drei Löffel Zucker in die Tasse, bevor sie den kräftigen schwarzen Tee einschenkt. Während sie Herrn Ramirez ebenfalls Tee eingießt, fährt sie fort: »Wißt ihr eigentlich, was Folter ist? Könnt ihr euch vorstellen, daß ein Mensch, der gefoltert wurde, für den Rest seines Lebens seelisch fertig ist, kaputt, zerbrochen, selbst wenn die Wunden wieder heilen? Folter ist nicht nur ein Wort. Folter ist Quälen mit glühenden Eisen, mit elektrischem Strom, das sind Tritte mit gespornten Stiefeln in nacktes Fleisch. Folter, das sind ausgerenkte Schulterblätter der an Seilen aufgehängten Menschen, erblindete Augen, Folter, das ist Zuhören- und Zusehenmüssen, wie die eigenen Kinder gequält werden.
    Viele Menschen flüchten und suchen in anderen Ländern Asyl. Sie hoffen, dort in Freiheit ein neues, besseres Leben für sich und ihre Kinder aufbauen zu können. Meine Eltern haben die Herrschaft der Nationalsozialisten in Deutschland nur überlebt, weil sie in Amerika Asyl fanden.
    Heute leben eine Menge Südamerikaner bei uns, doch die wenigsten Leute hier machen sich Gedanken über ihre Situation und erkennen sie als Menschen in großer Bedrängnis.«
    Sandra und Hanna sehen Frau Müller an und nicken einvernehmlich. Sie verstehen sehr wohl, daß Frau Müller ihnen damit auch etwas über Herrn Ramirez sagen will, der mit den Maßstäben eines Mitteleuropäers wohl kaum gemessen werden kann.
    Die beklemmende Stille, die jetzt eintritt, unterbricht mit großer Heiterkeit der, um den es mehr oder weniger direkt die ganze Zeit ging: Herr Ramirez. Bewußt oder weil er dem schnellen deutschen Redeschwall inhaltlich nicht folgen konnte, war er in sein Buch vertieft, aber nun hält er Frau Müller den Simenon hin und lacht: »Aquí, tienes que leer esto!«
    Frau Müller nickt ihm freundlich, fast mütterlich zu und steht dann auf, um aus der Küche noch Kekse zu holen. Hanna sieht Herrn Ramirez jetzt zum erstenmal direkt in die Augen, es drängt sie, etwas zu sagen. Herr Ramirez macht es ihr leicht. Von sich aus beginnt er: »Na, wie geht’s?«
    Darüber wollen die beiden jetzt lieber nicht reden, wie es ihnen geht. Doch Herr Ramirez - offenbar hat er wirklich nicht zugehört, sondern sich ganz auf seinen spanischen Simenon konzentriert - sagt in aller Unbefangenheit:
    »Frau Müller estudia Spanisch - mit mir!«
    Er scheint stolz darauf zu sein, schlürft zufrieden seinen Tee. Dann setzt er noch einmal an, und Sandra fällt auf, wie schlecht sein Deutsch im Verhältnis zu dem seiner Kinder ist: »Ronni sagt, wir euch besuchen?«
    »Ja, meine Eltern kennen viele Südamerikaner und möchten ein Fest für sie geben. Es wäre schön, wenn Sie auch kämen!« Hanna ist froh, endlich etwas Freundliches sagen zu können. Sie nickt heftig, nickt auch Sandra noch einmal zu, damit sie das bestätigt. Sandra begreift:
    »Hannas Eltern interessieren sich sehr für Südamerika!«
    Natürlich spricht Sandra nicht aus, was sie sonst noch weiß und denkt, daß nämlich ihre Eltern ganz anders auf Ausländer reagieren. Sie trinkt ihren Tee aus, sieht Hanna fragend an. Ob man sich jetzt verabschieden sollte. Aber Hanna hält den Zeitpunkt noch nicht für günstig. Sie wendet sich wieder an Herrn Ramirez: »Sandra lernt auch Spanisch!«
    »Ah, bien!« freut sich Herr Ramirez und sieht erst Sandra, dann Frau Müller an. Deren Züge haben sich inzwischen entspannt, und sie fragt: »Ja wirklich? Dann kannst du mir ja helfen. Ich habe meine Hausaufgaben nämlich nicht gut gemacht. Wie hieß es doch gleich wieder? Nosotros trabajamos, pero vosotros tomais té.«

14

    Ronni sieht zu der weißgetünchten Decke hoch. Berge und Täler, Flußufer tauchen auf, ein Wald breitet sich aus, ein Strom aus Geröll und Steinen stürzt auf ihn zu. Er schreit.
    Der Arzt ist nett. Er sitzt auf Ronnis Bettrand und redet mit ihm, das heißt, er versucht Ronni zum Reden zu bewegen: »Wo wohnst du? Wie heißt du?« Ronni möchte auch reden. Aber es geht nicht. Er fühlt sich unheimlich matt, schläfrig. In seinen Kopf fallen Bilder ein, stürzen herein und sind dann plötzlich wieder verschwunden. Bildersplitter sind das, von der Schule, von Sandras Mutter, die er gar nicht kennt, von Siemens, es

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