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Und fuehre mich nicht in Versuchung

Und fuehre mich nicht in Versuchung

Titel: Und fuehre mich nicht in Versuchung Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Vera Bleibtreu
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gelöscht? Sollte das noch ewig so weitergehen, das hielte ja kein Mensch aus! Aber – ist einer noch ein Mensch, der einen anderen Menschen umbringt und zerteilt? Ist das die Strafe Gottes, die Hölle auf Erden, diese Stimme, diese Töne? Aber – gab es Gott überhaupt? Den Teufel gab es, ganz gewiß. Nur der Teufel konnte sich so etwas ausgedacht haben wie diese Stimme, diese verführerische, schmeichelnde, sanfte Stimme. Vielleicht war es ja der Teufel gewesen, der die Hand geführt hatte, die Hand mit dem Beil, die Hand mit dem Messer, die Hand mit dem Hammer? Der Teufel, der geflüstert hatte: Dir wird nichts passieren, du kannst es vertuschen, bald ist alles vergessen. Er hatte gelogen, der Teufel, es war nicht so. Es war überhaupt nicht so. Es war schlimmer als zuvor. Jetzt gab es keine Minute mehr, in der die Stimme nicht sprach, das Geräusch nicht dröhnte. Vorher hatte es Atempausen, Hoff-nungspausen gegeben. Jetzt war das ganze Leben ein Alptraum geworden. Ein dröhnender Alptraum. Und   kein Beil, kein Messer, kein Nagel und kein Hammer konnten diesen Alptraum auflösen. Vielleicht lebten ja die Stimmen, das Geräusch – und alles andere lebte nicht mehr. Vielleicht hatte sich das Universum umgestülpt, die Wirklichkeit sich in sich selbst verdreht. Und doch: die eigenen Hände, sie waren noch da, rot vom Waschen, die Haut gereizt.

    * * *
    «Das war lecker», Dr. Irene Daubmann legte zufrieden den Dessertlöffel zur Seite. «Desserts sind die Spezialität Ihres Freundes, nicht wahr?» «Ja, man merkt, daß sein Vater Konditor war, finde ich.» Susanne Hertz trank einen Schluck ihres Mokkas. «Wie wär’s mit einem Verdauungs-spaziergang am Rhein entlang?» Jens schaute noch kurz an ihrem Tisch vorbei, an diesem Abend war der Schwalbacher Hof bis auf den letzten Platz besetzt. Irene Daubmann und Susanne bedankten sich bei ihm für das schöne Menü, Jens und Susanne verabschiedeten sich mit einem liebevollen Kuß, und kurz darauf schlenderten die beiden Frauen am Fort Malakoff vorbei Richtung Theodor-Heuss-Brücke den Rhein entlang. Die Lichter des Kasteller Ufers schimmerten und spiegelten sich im Wasser. An diesem lauen Sommerabend war viel Volk am Rhein unterwegs.

    Jogger liefen auch noch um diese Uhrzeit, junge Leute auf Skateboards kurvten halsbrecherisch durch die Menge.
    Susanne schnupperte, sie mochte diesen besonderen Duft des Wassers an einem warmen Abend. Dann wandte sie sich ihrer Kollegin zu, die bisher schweigend neben ihr gelaufen war und – wie sie – die Atmosphäre des Abends genossen hatte. «Noch mal danke für Ihre Hilfe über Him melfahrt», sagte Susanne. «Jens konnte über das Wochenende den Schwalbacher Hof geschlossen halten. So ganz arbeitsfrei waren die Tage in Paris zwar nicht, aber es war noch auszuhalten. Jens wollte natürlich häufig essen gehen. Die Konkurrenz schläft ja nicht, und er muß seine Löffel verteidigen.» «Ja, die Konkurrenz ist groß», stimmte Irene Daubmann zu. «Ich gehe ja auch sehr gerne essen und finde es spannend, die verschiedenen Küchen zu probieren. Mein Favorit ist gerade Ingo Bauernberg in der Goldenen Gans, dort ißt man wirklich vorzüglich.»
    Susanne war neugierig. «Ich selbst war noch nicht dort», meinte sie, «wie ist es denn im Vergleich zum Schwalbacher Hof»? «Nun …», Dr. Daubmann zögerte. Susanne legte ihr spontan kurz die Hand auf den Arm. «Sagen Sie ruhig ehrlich Ihre Meinung», ermutigte sie die Kollegin.
    «Ich finde Leute traurig, die keine Kritik vertragen können.
    Nur wer einstecken kann, wird sich auch verbessern können. Also, wie ist die Goldene Gans im Vergleich zum Schwalbacher Hof?» Die Pfarrerin zögerte, dann faßte sie einen Entschluß. «Sie haben mich gefragt», antwortete Dr.
    Daubmann. «Da können Sie mir keine Vorwürfe machen, mich ungefragt geäußert zu haben. Es soll auch nicht so wirken wie: Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul. Mir hat es sehr gut geschmeckt im Haus Ihres Freundes. Dennoch war ich etwas enttäuscht.» «Und warum?» «Ich hatte die Kritik im Amuse Gueule gelesen und mich auf 16 Löffel eingestellt. 16 Löffel finde ich für seine Desserts angemessen, für seine Küche insgesamt aber zu hoch gegriffen. Es fehlt einfach noch eine Spur Raffi-nesse, ein Hauch Originalität. Das ging mir beim ganzen Menü so, nicht nur bei einem Gang. Ihr Freund ist ausgesprochen begabt, finde ich, aber er muß sich noch entwik keln. Die Jakobsmuscheln etwa waren exzellent, aber

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