Und fuehre mich nicht in Versuchung
war wenig klangvoll, fast ein wenig quäkend.
«Pfarrer hätte der nicht werden können», dachte Susanne.
«Zumindest nicht ohne Sprechausbildung.» Aus dem Hörer quäkte es weiter. «Die Bild-Zeitung wollte ein Inter-view, sogar das Fernsehen war da, und dann muß ich mich ja noch um die Haushaltsauflösung kümmern.» Christian Vogel unterbrach sich selbst. «Oh je, das klingt herzlos, wo Onkel Steffen so grausig ums Leben gekommen ist. Aber es ist wirklich alles sehr viel und steigt mir über den Kopf.»
Er überlegte. «Was meinen Sie eigentlich damit, daß Sie ihn nicht richtig kannten? War er Ihnen aus der Kirche bekannt? Ich wußte gar nicht, daß Onkel Steffen häufig in den Gottesdienst ging.» Susanne schluckte. «Nein, Herr Vogel, es ist ein bißchen schwieriger, also, wie soll ich das sagen, ich bin diejenige, die die Hand Ihres Onkels gefunden hat. Deshalb bin ich von seinem Tod auch sehr persönlich betroffen. Ich hab mir auch überlegt, ob es gut ist, wenn ausgerechnet ich Ihren Onkel beerdige. Aber inzwischen denke ich, ich bin irgendwie verpflichtet, ihm eine würdige Bestattung zu geben, da ich ihn schon unter so unwürdigen Umständen gefunden habe.» Christian Vogel staunte. Seine Stimme bekam einen mitfühlenden Klang:
«Ach, Sie sind das gewesen, Sie Arme, das muß ja schrecklich gewesen sein. Wie merkwürdig, daß ausgerechnet Sie die zuständige Pfarrerin sind. Aber so spielt das Leben. Was meinen Sie – haben Sie heute Abend um 19.00 Uhr Zeit?
Kommen Sie zu mir oder soll ich zu Ihnen kommen?»
Susanne notierte sich die Uhrzeit in ihrem Terminplaner.
«Ich komme gerne zu Ihnen.» Sie überlegte: «Und – vielleicht hätten Sie Fotos von Ihrem Onkel. Ich weiß ja nicht, wie er aussah, bevor … also, ich möchte gerne einen Eindruck gewinnen, wie er war. Vielleicht finden Sie in seinen Unterlagen auch seinen Konfirmationsspruch, das wäre hilfreich für die Ansprache.» Christian Vogels Stimme bekam wieder einen gehetzten Tonfall: «Ja, gut, ich schaue, was ich finden kann, aber wenn Sie wüßten, was für ein Chaos in dem Haus herrscht, ich sage Ihnen. Aber gut, ich werde mich bemühen, vielleicht finde ich ja das, was Sie brauchen. Aber garantieren kann ich Ihnen das nicht. Bis heute abend, Frau Pfarrerin.»
* * *
Tanja Schmidt lehnte am Tresen der Goldenen Gans. Sie schaute sich um: die Dekoration gefiel ihr überhaupt nicht.
Gänse, wohin auch immer das Auge fiel. Gänse auf den Servietten, Keramikgänse auf den Tischen, Vorhänge mit Gans-Dekor, sogar die Tapete schien zu gackern. «Orna-ment ist Verbrechen», dachte Tanja, die als Reaktion auf das plüschige Ambiente («Altdeutsch Eiche Antik») im Wohnzimmer ihrer Eltern alles, was nur entfernt nach Staubfänger aussah, aus ihrer Wohnung verbannt hatte.
Das Bauhaus hätte seine helle Freude an ihrer Einrichtung gehabt, und sie sparte eisern von ihrem knappen Gehalt auf edle Designermöbel. Sie hatte jahrelang ihre Matratze auf Holzpaletten gelegt, bis sie sich endlich ihr Traumbett leisten konnte. Und sie hatte überhaupt kein Verständnis für Menschen, denen die Einrichtung ihrer vier Wände gleichgültig war oder die ihre Wohnung mit Nippes voll-stopften. Ihre Wohnung war wie sie selbst: schnörkellos und geradlinig. Bauernberg könnte wie ein junger Gott kochen – in seinem überladenen Gänseambiente verging ihr der Appetit. Aber sie war ja auch nicht zum Essen gekommen. Der Herr der Gänse stand hinter der Theke und polierte Rotweingläser, die keine Politur nötig hatten, so sehr glänzten sie im Licht der schaurigen gerüschten Messinglampen, die Bauernberg offensichtlich en gros erworben hatte, denn sie hingen in Hülle und Fülle im Lokal, über dem Tresen, den Tischen, im Flur. «Herr Bauernberg», Tanja versuchte, ihren Blick auf den Gastronom zu konzentrieren, «kannten Sie Steffen Vogel?» Bauernberg polierte weiter. «Wer kannte ihn nicht, den berühmten Gastrokritiker? Ich hätte ihn lieber nicht gekannt, auch wenn man über Tote ja nichts Schlechtes sagen soll.» «Was hat Sie denn an Herrn Vogel so erbost?» fragte Tanja.
«Seine Beurteilung der Goldenen Gans im letzten Amuse Gueule war eine Unverschämtheit. 13 Löffel für mich, und für Maistrom 16, das versteht niemand, der noch ein paar intakte Geschmacksnerven hat. Und das Schlimmste ist: es gibt tatsächlich Leute, die sich danach richten. Meine Stammkundschaft natürlich nicht, die wissen, was sie an mir haben. Aber bei Geschäftsessen
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