Und fuehre mich nicht in Versuchung
griff Arne zum Telefon. «Schauen wir mal, was wir über Johannes Friedrich herausfinden können. Und das sollten wir schnell tun, denn auf den Friedhof müssen wir ja auch noch, zu Vogels Beerdigung. Ich bin gespannt, was deine Herzens-freundin über den Verblichenen zu sagen hat! Sie hat ihn ja zumindest teilweise kennengelernt.» «Ekel», Tanja boxte Arne auf den Arm. «Du solltest mehr Mitgefühl zeigen!»
Dann machten sie sich an die Arbeit. Eine Stunde später hatten sie mit den Eltern telefoniert, die nach wie vor nichts von ihrem Sohn gehört hatten. Arne war ratlos.
«Das gibt es doch nicht! Johannes Friedrich hat vor einem halben Jahr einen Flug nach Bangkok gebucht und den Flug auch angetreten. Aber dann verliert sich seine Spur.
Eingereist ist er nicht wieder, zumindest nicht unter seinem Namen. Und seine Kreditkarte hat er zuletzt auf dem Flughafen in Bangkok genutzt, um Geld abzuheben, umge-rechnet 400 Euro. Davon kann man nicht ein halbes Jahr leben, auch nicht in Asien.» Tanja runzelte die Stirn.
«Bangkok, da war doch auch Vogel. Das gefällt mir gar nicht. Wir müssen versuchen, herauszufinden, in welchen Hotels Friedrich eingecheckt hat. Man kann doch nicht einfach verschwinden!» «Kann man offensichtlich schon», meinte Arne lakonisch. «Zum Beispiel, wenn du tot bist.
Oder wenn du deinen Namen wechselst. Wer weiß, ob Friedrich nicht längst wieder hier in Deutschland ist, ver-sehen mit einem säuberlich in Bangkok gefälschten Paß.
Wir geben Friedrich jedenfalls sofort in die Fahndung, und das Bild aus seiner Personalakte stellen wir auch dazu.
Mehr können wir jetzt nicht tun.» Tanja schaute auf die Uhr. «Es wird auch Zeit für den Friedhof.» Arne hob den Zeigefinger. «Memento mori! Schon jetzt wächst die Eiche, aus der man einst die Bretter für deinen Sarg zimmern wird, liebste Kollegin.» «Ich lasse mich verbrennen», gab Tanja zurück. «Da lohnt sich Eiche nicht.» «Na, dann eben Kiefer. Mal schaun, was Christian Vogel für seinen geliebten Onkel investiert hat.»
* * *
Die Friedhofshalle des Hauptfriedhofs war bis auf den letzten Platz besetzt, noch an den Wänden lehnten Menschen.
Manche waren wohl aus Sensationslust gekommen, andere waren Arbeitskollegen und Mitglieder der Redaktion von Amuse Gueule . Der Sarg mit dem Bukett aus weißen Rosen und Lilien stand in der Mitte der niedrigen Empore.
Daneben hatten die Mitarbeiter des Friedhofs die Kränze von Mainz-Glas, Christian Vogel und Amuse Gueule plaziert. Mit einem Präludium von Bach begann die Trauerfeier, Susanne sprach ein stilles Gebet vor dem Sarg und trat dann an das Pult. Erwartungsvolle Augen richteten sich auf sie.
Christian Vogel saß in der ersten Reihe, sein weichliches Gesicht sah noch verschwommener aus als sonst. Das konnte auch daran liegen, daß er sich ständig mit einem großen, altmodisch wirkenden Stofftaschentuch den Schweiß aus dem Gesicht wischte. Seine Augen wirkten gerötet und verweint. In einer der hinteren Reihen entdeckte Susanne Tanja und Arne, die aufmerksam um sich blickten. Als Tanja Susannes Blick auffing, nickte sie ihr unmerklich zu, so, als ob sie ihr Mut zusprechen wollte. Ein warmes Gefühl der Zuneigung durchströmte Susanne. Es tat gut, Tanja als Freundin zu haben, auch wenn sie an diesem Gottesdienst aus beruflichen Gründen teilnahm. Leise quietschte die Tür, zu Susannes Überraschung huschte Bauernberg herein und suchte sich einen Platz in der hintersten Ecke. Susanne überlegte, ob er es wirklich gewesen war, der Vogel zusammengeschlagen hatte. Wenn ja, was ging ihm in dieser Stunde durch den Kopf? Und wenn da hinten nicht nur der Mann lehnte, der Vogel verletzt, sondern auch der, der ihn getötet hatte? Susanne atmete tief durch. Sie durfte sich jetzt von solchen Gedanken nicht ablenken lassen. Mit ihrer klaren Stimme, die mühelos durch den Raum trug, setzte sie ein:
«Wir nehmen heute Abschied von einem Menschen, der sein Innerstes sorgfältig vor seinen Mitmenschen verbor-gen hielt», begann sie. «Was Steffen Vogel wirklich bewegt hat, können wir nur erahnen. Er hat uns nur selten Ein-blick in seine Persönlichkeit gegeben. Umgekehrt haben viele erfahren, daß er einen genauen Blick für die Menschen hatte, die ihm begegneten. Er sah ihre Stärken – und er sah ihre Schwächen. Manchem mochte es in der Begegnung mit Steffen Vogel scheinen, als ob sein Innerstes erkannt würde. Das ist nicht jedem angenehm gewesen.
Was dagegen ihn bewegte, hat kein
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